Hohe Kunst im Fußballtempel

Auch im niederen Uefa-Cup hält das ruhmreiche Team von Ajax Amsterdam beim 1:0 gegen Udinese wenigstens eine Halbzeit lang die Idee „Ajax is art“ hoch  ■ Von Katrin Weber-Klüver

Amsterdam (taz) – Amerikaner dürften sich hier wohlfühlen. Einen Hauch von Heimatgefühl bekommen, wenn sie auf einer „Good ol' Europe“-Tour nach der Besichtigung all dieser steinzeitlichen Bauten, die älter als die Unabhängigkeitserklärung sind, versehentlich ins Stadion von Ajax Amsterdam geraten. Der Pleasure Dome heißt „ArenA“, liegt wie ein Ufo inmitten von Bürohäusern vor den Toren der Stadt und ist ein All- Seater mit bunten Schalensitzen sowie Wandelgängen voller Fast- food- und Devotionalienboxen. Und echtes einheimisches Geld braucht man auch nur, um die ArenA Card aus dem Automaten zu ziehen, mit der man wiederum die Burger bezahlt. Derweil das Auto witterungssicher in der Tiefgarage unterm Spielfeld parkt, das entsprechend auf einem Sockel thront.

Dieser Rasen ist bei all dem Entertainment-Glanz, den Ajax' vergangenes Jahr eingeweihter Tempel verbreiten soll, ganz konservativ betrachtet eine Zumutung. Sieht aus wie ein durchgetretener Teppich und ist auch kaum etwas anderes. Denn weil die Arena weit über die doppelstöckigen Tribünen hinaus geschlossen und nach Bedarf auch komplett überdachbar ist, fehlt Licht. Und offenbar kann man in Fußballstadien viel künstlichen Quatsch an den Mann bringen. Aber ein guter Rasen braucht echte Sonne.

Wenn Ajax in der Liga spielt, sind die 51.200 Sitzplätze der ArenA ausverkauft. Uefa-Cup aber scheint für einen vierfachen Gewinner des Landesmeister- Cups als Wettbewerb der auf den Plätzen Gelandeten nicht wirklich eine Herausforderung. Daß am Dienstag abend ein paar tausend Plätze leer blieben, lag jedenfalls nicht am gegnerischen Anhang. Die Tifosi aus Udine hatten ihren durch transparente Trennwände separierten Block auf der oberen Tribüne mit 2.000 Menschen gut gefüllt. Und feuerten ihre Uefa- Cup-Neulinge tapfer an, sich gegen das offensive Spiel der Gastgeber zu behaupten.

Derweil wirkte der Amsterdamer Anhang etwas komatös. Hatte sich womöglich bei den gesanglichen Vorspielen etwas verausgabt. Aus Wien hat man vor zwei Jahren die Liebe zu Strauß mitgebracht. Nun wird immer eine Art Strauß- Marschmusik-Crossover gespielt, zu dem das Publikum zackig kleine Plastikfähnchen von links nach rechts ruckt und begeistert mitsummt. Das passiert kurz bevor ein ziemlich dicker Mann auf den Rasen geschwankt kommt, um operettenhaft „You'll never walk alone“ zu schmettern. Was allein Grund genug wäre, wieder zu gehen. Dann ist es aber so, daß der Kern des die Sinne lähmenden Events immer noch Fußball ist. Und es ist auch so, daß der Fußball der Ajax-Schule immer noch etwas Besonderes ist.

Das mit der Schule bezieht sich, nicht erst seit der Däne Morten Olsen Trainer ist, nur noch aufs berühmte System. Zur Zeit wird es zur Hälfte von Männern mit Leben gefüllt, die aus Georgien, Portugal, Finnland, Dänemark, Nigeria oder Südafrika stammen. Hinzu kommen Jungspunde aus der vereinseigenen Ausbildung, alte Haudegen wie die de-Boer-Brüder und der ewige Danny Blind.

Das Ajax-System dient der Idee „Ajax is art“ – und weil das eine schöne Idee ist, fügen sich im Moment alle, egal, woher sie kommen, wunderbar zusammen. Zauberhaft schnell, kombinationssicher und auf eine Art und Weise zweikampfstark, daß man auch diesen Teil des Spiels gar nicht mehr Kampf, sondern eben Kunst nennen möchte. Die Italiener sahen aus, als wollten sie das lieber bewundern, statt es zu verhindern. Zu selten kam ihnen, die bizarrerweise mit zweieinhalb Spitzen aufliefen, die Idee, daß eine in ihrer Liga defensiv derart unterforderte Mannschaft (drei Gegentore in zehn Spielen, zehn Siege, 38 eigene Treffer); fast zwangsläufig Abwehrschwächen haben muß. Edwin van der Sar gebrach es auch an diesem Abend an Praxis. Als er seinen ersten trullernden Ball aufnahm, fiel er über die Torausline und tat sich die Schulter weh.

Ein halbes Dutzend guter Angriffszüge hatte Ajax schon hinter sich, als nach 28 Minuten der Mädchenschwarm Dani (20, Portugal) auf Vorlage des Finnen Jari Litmanen das 1:0 köpfte. Mit dem, was noch an Chancen in der ersten Halbzeit folgte, hätte Ajax zwei, drei Tore mehr erzielen müssen. Aber Danis Treffer blieb das Tor des Tages. In der zweiten Hälfte spielte Udinese mangels Mittelfeld zwar immer noch keinen bemerkenswerten Fußball. Ajax aber auch nicht mehr und verlor nun viele Zweikämpfe, die jetzt nicht mehr wie Kunst aussahen. Und eher als die Amsterdamer hätte Oliver Bierhoff noch ein Tor erzielt. Einmal gelang es ihm, in der 78. Minute, cleverer zu sein als sein Bewacher, der Nigerianer Sunday Oliseh. Er köpfte den Ball aber am Tor vorbei.

Udine hat sein Uefa-Cup-Debüt in Lodz mit gleichem Resultat verloren, dann zu Hause mit zwei Bierhoff-Toren 3:0 gewonnen. Das läßt auf ein interessantes Rückspiel hoffen. Außer für Amerikaner. Das Stadio Friuli ist eine 20 Jahre alte Mehrzweckanlage. Und wenn man nicht unter der mächtigen Betonkuppel der Haupttribüne sitzt, steht man gegebenenfalls im Friauler Regen.

Udinese: Turci - Genaux, Calori, Bertotto - Helveg, WQalem, Giannichedda, Cappioli (69. d'Iganzio) - Poggi (80. Eman), Bierhoff, Amoroso (56. Locatelli)

Tor: 1:0 Dani (28.)

Ajax Amsterdam: van der Sar - Tobiasen, Oliseh, Blind, F. de Boer - R. de Boer, Litmanen, Witschge - Dani, Arveladse (76. Benni), Hoekstra