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Sprechblasen für CNN-Kameras

■ Scientology demonstrierte in Berlin "für die Religionsfreiheit". Nur 2.000 Menschen besuchten die für die US-Fernsehsender inszenierte Show. Gegendemonstrationen blieben aus

Berlin (taz) – Der Superstar ließ sich entschuldigen. Nur mit einem Grußwort war der Hollywood- Schauspieler und bekennende Scientology-Anhänger John Travolta gestern auf der Demonstration „für Reiligionsfreiheit in Deutschland“ vor der Berliner Gedächtniskirche vertreten. „Das primäre Problem in Deutschland ist die unfaire Verfolgung von Scientology und anderen Minderheitsreligionen durch die Regierung ohne faktische Rechtfertigung“, so lautete seine Botschaft. Die wollten bei eisiger Kälte etwa 2.000 Menschen hören – weit weniger als die 10.000, mit denen der Scientology-nahe Veranstalter „Freedom for Religion in Germany“ (FRG) gerechnet hatte.

Die Versammlung im Zentrum Berlins war der Auftakt zu einer inszenierten Welle des Protests von FRG gegen die Behandlung von Scientology durch die deutschen Behörden. Auf dem Programm standen außerdem ein Marsch zum Brandenburger Tor, ein Konzert, ein Gottesdienst und für heute eine „Menschenrechtskonferenz über die Gefahren der Intoleranz“. Anlaß der Proteste ist die heutige Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Kundgebung vor der Gedächtniskirche war für die Fernsehanstalten inszeniert: ein Meer verschiedener Länderfahnen und Transparente mit der Forderung nach „Toleranz“, „Freiheit“ und „Frieden“. Auch der Vergleich mit der Judenverfolgung durch die Nazis durfte nicht fehlen: „Reichen 6.000.000 Deportierte nicht aus, um den Faschismus auszutreiben?“ oder „Die Rückkehr des Dämons des Faschismus“. Statt politische Statements abzugeben, dirigierten die Sprecher die Masse: Auf Befehl wurden für die Kameras jubelnd Fahnen geschwenkt. Luftballons mit der Forderung nach „Toleranz“ stiegen auf.

Die verschiedenen Sprecher der FRG hielten sich bei ihren Vorwürfen an die Regierung nicht mit Details auf. „Die Regierung hat mit allen Mitteln versucht, diesen Marsch zu verhindern“, hieß es. Von einem Verbot war nie die Rede gewesen – private Hotels und Hallenvermieter hatten die Scientologen wieder ausgeladen. Die Berliner Innenverwaltung hatte dazu aufgerufen, die Demonstration zu ignorieren. Deshalb gab es außer von einer kleinen Gruppe des bayerischen Montessori-Vereins am Rande der Veranstaltung keine Gegendemonstrationen.

Das Medienkalkül der Sekte ging voll auf: Vor dem Hintergrund einer jubelnden Masse sprachen Scientologen in die CNN- Kameras: Er sei „geschockt über die Zustände in Deutschland“, erklärte ein Hubbard-Jünger und wies auf sein T-Shirt mit dem Aufruf zu der Demonstration: „Die Regierung hat verboten, dieses T- Shirt zu tragen.“ Fünf Meter neben ihm stand eine Gruppe von Polizeibeamten und rührte sich nicht. Die Repression schlug nur bei den Broschürenverkäufern zu. Einige von ihnen hatten gegen die Auflage verstoßen, kein Scientology- Material anzubieten. Ihnen droht jetzt ein Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit. Bernhard Pötter

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