: „Kein Eigentor“
■ Im Interview: Kiels Energie-Staatssekretär Wilfried Voigt über die Klage gegen Krümmel
taz: Der Atommeiler Krümmel steht heute erneut vor Gericht, nicht zuletzt wegen der gehäuften kindlichen Leukämien in seiner Umgebung. Bereitet das Energieministerium die Stillegung des AKWs vor?
Wilfried Voigt: Man ist ja immer versucht – und politisch ist es auch sinnvoll – über so einen Prozeß alle Probleme der Atomkraftnutzung, von Leukämien über Leckagen bis zu Castor-Transporten, abzuhandeln, aber darum geht es hier nicht. Wenn Renate Backhaus (die Klägerin, d.Red.) recht bekommt, werden lediglich die alten Brennelemente wieder eingebaut. Das ist der Inhalt ihrer Klage. Für diese Arbeiten würde Krümmel bis zu einem halben Jahr abgeschaltet.
Hört sich an wie ein Eigentor: Sind die technisch veralteten Brennelemente nicht viel gefährlicher als die neuen?
Ein Eigentor wäre es nicht. Aber vom Schadenspotential her halte ich diesen Unterschied für nicht gravierend.
Und was ist mit dem Vorwurf des Bundesverwaltungsgerichts, der mögliche Zusammenhang zwischen den Leukämien und dem AKW-Betrieb hätte geprüft werden müssen?
Dieser Vorwurf richtet sich nicht gegen das Energieministerium, sondern gegen das OVG Schleswig.
Der Prozeß setzt also keinerlei politisches Signal?
Doch. Es ist politisch bedeutsam, daß der Strahlenschutz durch diesen Prozeß erneut öffentlich thematisiert wird. Zumal es in der Bundesregierung Bestrebungen gibt, die deutschen Strahlenschutzgrenzwerte auf die EU-Norm abzusenken.
Renate Backhaus, selbst Mitglied der Grünen, wirft Ihnen mangelnde Prozeßunterstützung vor.
Der Vorwurf von Renate richtet sich eher gegen den Landesverband der Grünen in Schleswig-Holstein, nicht gegen das Energieministerium. Schließlich sind wir die Beklagten.
Nun sind Sie aber zufällig Mitglied dieser Partei.
Persönlich kann ich Renates Ärger nachvollziehen. Ich verstehe nicht, weshalb die Basis keine Prozeßkostenunterstützung auf die Beine gestellt hat. Da ist zu wenig gelaufen.
Und als grüner Staatssekretär hatten Sie keinerlei Einfluß, Krümmel wenigstens bis zur abschließenden Gerichtsentscheidung stillzulegen?
Nein. Dazu liegen atomrechtlich keine hinreichenden Gründe vor. Man kann nicht auf Zuruf sagen, wir schalten jetzt mal ab.
Weil der Staatskasse sonst Schadensersatz droht?
Das ist zweitrangig. Wer die Stillegung als symbolische Nummer betrachtet, hat damit vor Gericht keine Chance. So ein Akt würde nur mit Häme kommentiert. Das wäre eine politische Niederlage, die schlimmer ist als jede Schadensersatzzahlung. So kann man in Schleswig-Holstein Rot-Grün stilllegen, nicht aber einen Atomreaktor. Fragen: Heike Haarhoff
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