Zwischen den Rillen: Trendsporting
■ Meister im Öffentlich-Eltern-Beklauen: The Verve und Ocean Colour Scene
Ein anderes ungelöstes Rätsel unserer Zeit ist die Frage, wie eigentlich die Begeisterung für diese Band namens The Verve zu erklären ist. Okay, daß die britische Presse sich in Hymnen ergeht, mag man einsehen. Schließlich ist es ihr Job, sich jede Saison auf einen Liebling zu einigen. Die können also praktisch gar nichts dafür. Aber auch die Süddeutsche Zeitung, der Flyer und das Techno-Magazin Buzz a.k.a. DeBug? Herrschen britische Verhältnisse in deutschen Feuilletons? Wird jetzt alles gut? Hmm. Die angebotenen Erklärungen lauten jedenfalls folgendermaßen: Weil's handgemacht ist (Flyer), weil Verve-Sänger „Mad“ Richard Ashcroft sein Haar fettig trägt (Süddeutsche) oder nur so (Buzz). Deswegen sind The Verve einfach dufte. Danach müßte auch die neue Rolling Stones einfach dufte sein. Ist sie aber nicht.
Allerdings: Der Wiedererkennnungswert (die Streicher) ihrer Hit-Single „Bittersweet Symphony“ basiert auf einem Stones-Sample. Und „Mad“ Richard Ashcroft trägt die Haare nicht nur fettig, sondern auch so, wie man aus 90er Perspektive glaubt, daß Mick Jagger sie in den Sechzigern trug. Tatsächlich trug er sie so in den Siebzigern. Auch das dazugehörige Video ist ein Zitat. Wie Shara Nelson Anfang der Neunziger in dem Massive-Attack-Video von „Unfinished Sympathy“ läuft Ashcroft einen Bürgersteig entlang und rempelt alles aus dem Weg, wie, sagen wir mal, Nick Cave es gern Anfang der Achtziger getan hätte, wenn The Birthday Party genug Geld zum Teure-Videos-Drehen gehabt hätten. Nur um es dem Establishment mal so richtig zu zeigen. Wenn man so will, vereinigen The Verve damit in Song und Video das Beste aus vier Jahrzehnten. „Bittersweet Symphony“ mußte also ein Hit werden.
Der Rest kommt dann wie von selbst. The Verve schrauben die Zitatendichte runter auf eins pro Song und bieten nichts, was man nicht schon kennt. Das heißt, man muß sich gar nicht erst daran gewöhnen. Was praktisch ist, so läßt sich „Urban Hymns“ locker nebenbei weghören, jedenfalls solange man den Texten nicht allzuviel Aufmerksamkeit schenkt. Das sollte man sogar unbedingt vermeiden, will man sich den Tag nicht mit den existentiellen Nöten des jungen, weißen, heterosexuellen Mannes vermiesen, der zwischen Beziehungsproblemen, Zukunftsängsten, Weltschmerz und Katerstimmung hin und herpendelt. Der jeweiligen Gemütslage angepaßt, tut dann die Band so, als wären sie die Doors (damals), die Stones (heute noch), Bowie (Glamphase) oder U2 (Pathosrock). Und wenn es ganz besonders kühn kommt, tut The Verve sogar so wie die Band, die so tut, als wären sie die Doors (damals), die Stones (heute noch), Bowie (Glamphase), U2 (Pathosrock): nämlich Suede. Bescheuert oder clever? Bescheuert und clever?
Eine andere Band, die es auch mit der Vergangenheit hat, ist Ocean Colour Scene. Ihr entscheidender Nachteil ist es, daß sie keinen Sänger hat, der aussieht wie Mick Jagger. Überhaupt sieht niemand in der Band so aus wie Mick Jagger. Nicht einmal wie die Gallagher- Brüder. Deswegen ist man ihr von der Süddeutschen bis zur englischen Presse nicht so wohlgesonnen. Dieses Manko versuchen sie durch intensiven Einsatz modernster Studiotechnik zu kompensieren. Dieses nach hinten gemischt, dort ein Filter dazwischen, das leicht verzerrt, dann wieder klar, vielleicht noch ein Hall drüber, nee, lieber ein Echo, wie wär's mit 'nem Stereoeffekt, Jungs, laßt uns noch mal von vorn anfangen. Die Raffinesse möchte gewissermaßen beeindrucken. Daß Ocean Colour laut Presseinfo an ihrem dritten Album „Marchin' Already“ vier Jahre gearbeitet haben, sollte also niemanden wundern. Seltsam ist allerdings, daß sie zwischendurch Zeit hatten, ihr Debüt samt Nachfolger zu veröffentlichen. Man darf daraus schließen, daß „Marchin' Already“ als ihr Meisterstück zu betrachten ist.
Zu diesem Zweck haben sie viel Wert auf ambitioniertes Songwirting gelegt. Allerdings nicht ohne sich vorher in ihrer Plattensammlung bei allem schlau zu machen, was gut und teuer ist. Das schlug sich nieder. Im ersten Song steckt Paul Weller drin, im zweiten John Lennon, im dritten stecken Jagger & Richards, im vierten stecken Simon & Garfunkel etc. Im Grunde machen Ocean Colour Scene also genau das, was eigentlich alle englischen Bands machen: die Musik ihrer Elterngeneration nachspielen. Die Umsetzung macht dann den Unterschied: handwerklich perfekt und dröge (Ocean Colour Scene, Radiohead), handwerklich perfekt und egal (Blur), handwerklich perfekt, absurd und nett (Supergrass, Mark Owen), handwerklich perfekt und geil, weil absurd (Robbie Williams), stumpf (The Verve), superstumpf und deswegen unschlagbar (Oasis). Woraus zu folgern ist, daß zeitgemäßer Gitarrenrock/-pop sich nicht in dreimal cleverem Songwriting ergehen, sondern praktisch, handlich und geradewegs auf den Effekt zielen sollte, also angemessen klischeehaft sein, weil Gitarrenrock heute nur noch ein Klischee sein kann.
Wer das mißachtet, bekommt dann auch immer wieder gesagt: Die Beatles haben das besser gemacht. Genau, Ocean Colour Scene, die Beatles haben das besser gemacht. Harald Peters
The Verve: „Urban Hymns“ (Virgin)
Ocean Colour Scene: „Marchin' Already“ (Universal)
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