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Jenseits von objektiver Wissenschaft

■ betr.: „Das Individuum als Bio- Kapitalist“, taz vom 25.10. 97

Mit abgeklärtem Spott macht sich Claus Koch lustig über jene, die sich empören über Experimente wie zum Beispiel nackte Krebsmäuse, geklonte Schafe und nun Froschleiber ohne Kopf. Solcher Spott macht sich gut, denn dann steht mensch schon mal mit einem Bein auf der Seite der Gewinner, die kapiert haben, daß es keinen Sinn hat, sich gegen den Fortschritt zu stemmen, wenn der genug Nachfrage hat. Verlierer, das sind die, die immer noch ihr Schaudern spüren, bei jedem dieser Experimente neu. Doch dieser Ekel ist natürlich kein ernstzunehmendes, wissenschaftliches Argument, schon gar nicht im Rahmen der freien Marktwirtschaft.

Ich glaube nicht, daß es irgendein Trost ist, wenn die Eugenik der Zukunft – so sie denn kommt – nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage funktioniert. Was bedeutet denn zum Beispiel die von Claus Koch angeführte „positive Utopie“ der Ausrottung der Diabetes durch Gentests? Vielleicht kennt auch Herr Koch in seiner persönlichen Umgebung zuckerkranke Menschen, die trotz ihrer Erkrankung sein Leben bereichern (und im übrigen ganz froh sind, daß sie leben). So was soll schon vorgekommen sein. Die „positive Utopie“ jedoch wäre für solche Menschen nicht Heilung, sondern nie existiert zu haben. Solche Menschen kämen dann nicht mehr vor. Mich schaudert angesichts einer solchen Verarmung, und dieses Schaudern hat für mich etwas zu sagen, jenseits von objektiver Wissenschaft und Marktwirtschaft.

So mancher Nazi mag vielleicht ganz ohne Haß auf all die „Untermenschen“ geschaut haben, die leider einfach zu schwach für diesen Lebenskampf sind und ausgerottet werden müssen, weil sie die Starken in ihrem Fortschritt gefährden. Das Leben, es ist nun mal so. Heute, zeitgemäßer, sind manche eben nicht mehr zu schwach, sondern einfach zu dumm. Kann man nix machen, da muß man eben durch. Klaus Dernbecher, Leutenbach

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