Ex-Herta-Besitzer über Gewinn: „Die Schnauze voll“

Karl-Ludwig Schweisfurth gehörte einst Herta, die größte Fleischfabrik Europas. Jetzt ist er Vegetarier, wenn er nicht zuhause ist.

Karl-Ludwig Schweisfurth im November 1999. Bild: dpa

zeo2: Herr Schweisfurth: Stellen Sie sich vor, ich biete Ihnen eine Stulle mit Feiner Edelsalami von Herta, über Erlenholz herzhaft geräuchert. Beißen Sie zu?

Karl-Ludwig Schweisfurth: Nein, ich habe mir selbst ein Versprechen gegeben: Ich esse kein Fleisch mehr, keine Wurst, keinen Schinken und kein Ei, wenn ich nicht genau weiß, wo es her kommt. Ich bin Vegetarier, wenn ich nicht zuhause bin.

Aber Herta war mal ihr Zuhause. Sie haben die Marke einst groß gemacht, die Ihre Eltern als Landmetzgerei begründet hatten. Keine Ausnahme?

Doch vielleicht. Aber nur aus Neugier. Weil ich wissen will, was die heute machen.

Warum haben Sie Herta überhaupt verkauft im Jahr 1984, das Unternehmen war erfolgreich mit 5.500 Mitarbeitern, mehr als einer Milliarde Mark Umsatz im Jahr?

Da gibt es ein Schlüsselerlebnis. Das war so um 1980. Etwas stimmte nicht mehr mit den Schweinen. Sie waren verhaltensgestört, fielen bei der geringsten Aufregung tot um. Ihr Fleisch war wässerig. Da wollte ich wissen, wo kommen die her – und bin ins Oldenburger Land gefahren.

Sie erlebten einen Schock?

Ich dachte, ich würde einen Bauern antreffen. Doch ich traf einen Menschen, der bewohnte einen Bungalow, mit Clubgarnituren. Er hat uns dann seine Ställe gezeigt. Damals ging das los mit den Spaltenböden. Eine große Erfindung. Damit konnte man das Ausmisten sparen. Aber: der Gestank. Die Dunkelheit. Und die Enge. Die Tiere, die mich angeschaut haben, als wollten sie sagen: Was macht ihr mit uns. Das ist mir unter die Haut gegangen, das Bild habe ich nie wieder vergessen.

Warum grauste es Ihnen nicht schon früher, schließlich hatten Sie in den 50er Jahren schon die Schlachthöfe von Chicago kennengelernt?

Da war ich erst 25 Jahre und beeindruckt – von der Technik, den Fließbändern. Und da hatte ich auch noch keinen Sohn, der mir sagte: Vater, ich will mit Deinem Laden nichts zu tun haben. Du bist immer gehetzt, willst immer mehr, immer größer sein, immer schneller. Das hat doch keinen Sinn.

Aber Sie gaben den Deutschen, was sie nach dem Zweiten Weltkrieg so sehr begehrten – Fleisch satt, führten hierzulande das Fließband ein, packten Wurst in Folie und kauften Fabrik nach Fabrik. Bereuen Sie das?

Oh nein! Die ganze technische und wirtschaftliche Entwicklung war ja fantastisch. Es war eine hochinteressante, andere Zeit.

Sie sahen die Automatisierung anders?

Allerdings. Aber was daraus geworden ist! In diesen Tierfabriken werden 5.000 Schweine von einem Menschen gesteuert. Die Tiere stehen eng gedrängt. Ihre Schwänze sind gekappt und die Zähne abgeschliffen, weil sie sich aus Langeweile sonst gegenseitig die Schwänze abbeißen, krank werden und Antibiotika brauchen. Nach kurzem Leben werden sie dann von modernen Sklaven geschlachtet. Das sind zumeist Bulgaren oder Rumänen, die für 4,50 Euro die Stunde in einem irrsinnigen Tempo die Tiere aus dem Leben in den Tod bringen. Das ist einfach würdelos.

Wenn Sie das so sehen, warum haben Sie Ihr Unternehmen ausgerechnet an einen Massenproduzenten wie Nestlé verkauft anstatt es zu ökologisieren?

Als ich gesagt habe, ich habe die Schnauze voll, hatte Herta zehn Fabriken. Wir waren einfach zu groß, um konsequent auf Ökologie umzustellen. Also habe ich mich getrennt und bescheiden von vorne angefangen.

In Ihrer neuen Welt fließt aber auch Blut. Warum sind Sie nicht überzeugter Vegetarier oder Veganer geworden?

Weil ich Metzger bin und weil ich gerne Fleisch esse. Nur nicht mehr das aus dem Supermarkt. Für mich ist das eine moralische Entscheidung.

Was ist bei Ihnen denn anders als bei Nestlé?

Alles! Kein einziger unserer 200 Mitarbeiter macht den ganzen Tag am Fließband nur einen Handgriff. Sie fangen morgens an und schlachten ein Tier nach dem anderen. Dann zerlegen sie die Tiere und machen auch die Würste und Schinken. Das sind Handwerker, die alle Handgriffe können, und mehr als den umstrittenen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde dafür bekommen.

Früher haben Sie 25.000 Schweine in der Woche geschlachtet...

... heute sind es 80. Ich muss nicht als der Reichste auf dem Friedhof liegen. Ich habe Abschied genommen von Größe. Das ist ein Wahn, den ich vergessen habe. Wir machen einen Umsatz von etwa 20 Millionen Euro im Jahr mit 200 Mitarbeitern. Wir haben 25.000 Kunden. Das ist es. Mehr wollen wir nicht.

Sie wollen immer nur für die Reichen produzieren, für eine bestimmte Essklasse?

Unsinn! Natürlich gibt es arme Menschen. Aber 80 Prozent der Menschen können sich unser Fleisch leisten. Die andere Qualität, der andere Umgang mit Tieren und Natur, muss einem allerdings etwas Wert sein.

Was kostet ein Kotelett?

Im Sonderangebot bekommt es der Supermarktkunde schon für vier Euro pro Kilo. In einer konventionellen Metzgerei etwa für neun Euro, bei uns für 16. Dafür schnurrt es nicht in der Pfanne zusammen. Und wenn jemand sagt, das ist aber verdammt teuer, dann erwidere ich: Dann essen Sie die Hälfte. Lieber halb soviel aber dafür dreimal so gut.

Sie hatten das Glück des reichen Mannes. Was machen die, die sich eine persönliche Wende so nicht leisten können?

Das war wirklich ein Geschenk. Für Bauern und Metzger, für Bäcker und Käser, die ohnehin schon ums Überleben kämpfen, ist es viel schwieriger. Ihnen schlage ich vor, sich zusammenzutun, eine Genossenschaft zu gründen und die Verbraucher in der Region einzuladen: Macht bitte mit! Helft uns bei der Finanzierung!

Das Interview führte Hanna Gersbach. Der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 1/2014. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.