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Sichere Bänke

Überraschungen sind kaum zu befürchten: Konserven und Konservativismus auf dem 34. Berliner JazzFest  ■ Von Maxi Sickert

Zu ändern war es nicht mehr, und ohnehin ist die Interpretation eher frei. Der Frankfurter Professor Gunther Kieser, der seit Jahr und Tag die Plakate für das Berliner JazzFest gestaltet, hat Linien in fließender Bewegung verwoben. Wer genau hinsieht, erkennt, was diesen Herbst Schwerpunkt sein sollte: die Posaune.

Albert Mangelsdorff, selbst einer der wichtigsten Vertreter dieses Instruments, ist zum dritten Mal künstlerischer Leiter des JazzFests. Daß er die Schwerpunkte seiner persönlichen Musikervita auf das Festival überträgt – 1995, im Jahr eins von Mangelsdorffs Ernennung, ging es um „50 Jahre Jazz in Deutschland“, im letzten Jahr folgte „Jazz in Frankreich“ –, mag ihm als konsequent ausgelegt werden. Nur mit der Umsetzung der Programmatik klappte es bislang nicht so recht. Was von den letzten Jahren im Gedächtnis blieb, sind mehr Bilder als Konzepte: Mangelsdorff selbst als Pionier des deutschen Nachkriegsjazz, Till Brönner als Vorzeigejazzer der jüngeren Generation, sowie – 1996 – ein leicht überspannter Bogen vom „ersten französischen Jazzmusiker“, dem über neunzigjährigen Stephane Grapelli an der Geige, hin zu lokalen französischen Folkloregruppen.

Dieses Jahr ist man vorsichtiger geworden. Nachdem Jay Jay Johnson, das Urgestein der Soloposaune im Jazz, aus Termingründen nicht kommen konnte, war für den künstlerischen Leiter der Schwerpunkt nicht mehr vertretbar – zumal er ja selbst nicht auftreten kann oder will. Die Kritik, die ihm im ersten Jahr sein Gastspiel auf dem „eigenen“ Festival vorwarf, hat ihn schwer getroffen. Und so gibt es 1997 im Haus der Kulturen der Welt nicht nur ein Programm ohne den Musiker Mangelsdorff, sondern auch eines ohne Schwerpunkt.

Liegt es daran, daß die Mischung beliebig wirkt? Es gibt die alten Kameraden: Neben dem Auftakt der Rias Big Band mit dem stadtbekannten Flair einer abgewickelten Rentnerband (an der Trompete: Till Brönner) steht am Eröffnungstag die offenbar bereits zum Inventar gehörende WDR Big Band auf dem Programm, diesmal im Mix mit dem Ray Brown Trio und Dee Dee Bridgewater, die ihre neue Platte „Dear Ella“ vorsingt. Fragt sich bloß, warum Bridgewater Ella Fitzgerald als „einfache Person“ bezeichnet und erklärt, sich zu Ellas Lebzeiten nie für sie interessiert zu haben. Erst bei der Todesnachricht sei sie plötzlich „unendlich traurig“ gewesen und habe sich auf Spurensuche begeben – bis hin zu einem Ort, an dem der Nachlaß zur Versteigerung stand, wo sie sich dabei ertappte, wie sie „über die Kleidung strich und Ellas Geruch atmete“. Immerhin scheint Bridgewater mit diesem Projekt ihr ersehntes amerikanisches Comeback hinzukriegen. Es ist wie geschaffen für die Bühne des New Yorker Lincoln Center, wo der neue alte Jazz aufgeführt wird: konservativer Mainstream ohne Ecken und Kanten. Und wer die Platte bereits kennt, braucht Überraschungen nicht zu befürchten.

Überhaupt auch in diesem Jahr wieder Dominanz der Konserve: Von Dee Dee Bridgewater über den Trompeter Tomasz Stanko, der mit seinem Sextett Musik des Jazzers und Polanski-Filmkomponisten Krzysztof Komeda interpretieren wird, bis hin zu Wayne Shorter/Herbie Hancock und Holly Cole wird das jeweils neue Album promoted. Denkt man die Tendenz zu Ende, könnte man sich auch sein persönliches JazzFest an der heimischen Stereoanlage gestalten.

Aber vielleicht besteht der Sinn des Ganzen auch für das JazzFest weniger in der Musik als im Eventcharakter – warum sonst sollten die Nachmittagsvorstellungen am Wochenende alljährlich die geheimen Höhepunkte bilden, wo in entspannter Atmosphäre, bei Sponsorenbier (Köstritzer!) und Selters ganze Familien unterwegs sind? Überhaupt wird das Publikum von vielen Musikern unterschätzt, wie z.B. von dem Altsaxophonisten Kenny Garrett, der seine Reputation immer noch aus seiner fünfjährigen Mitwirkung bei Miles Davis zieht und sich selbst so toll findet, daß er tatsächlich Anfang des Jahres bei seinem Auftritt im Quasimodo mit dem Rücken zum Publikum spielte. Diesmal kommt er mit einer eilig zusammengestellten Telefonband.

Zuletzt bleibt die Kategorie „sichere Bank“: die Sängerin Holly Cole, die in den frühen Achtzigern in Berlin herumhing, sich als Straßenmusikerin durchschlug und jetzt im (zumindest kanadischen) Musikgeschäft ganz oben ist – und Wayne Shorter/Herbie Hancock. Obwohl die beiden bereits sämtliche europäischen und deutschen Festivals betourt haben werden, bevor sie nach Berlin kommen, und obwohl die Qualität ihrer musikalischen Darbietung von der jeweiligen Tagesform abhängt (da mit zunehmendem Starstatus auch zunehmend auf Soundchecks verzichtet wird), ist das natürlich ein Höhepunkt. Schon allein wegen der gigantischen Gagenforderungen von Hancock, die seine Auftritte für private Veranstalter zu einem nur schwer zu kalkulierenden finanziellen Risiko werden lassen.

Aber bei einem Etat von 409.000 Mark (Gesamtjazzetat: etwa ein Million) allein vom Berliner Senat – und ganz abgesehen von den privaten Sponsoren – wird das für das JazzFest verkraftbar sein. Im Vergleich zu manch anderer Institution steht das JazzFest positiv, geradezu ungekürzt da. Schade nur, daß die Kritik der letzten Jahre so gar nichts gefruchtet hat. Man baut auf die Macht der Tradition, findet's toll, für Berlin dufte, Radunski total liberal und sich selbst wichtig bis eminent.

Sicher, die Zeiten, als Leute wie John Coltrane, Don Cherry oder gar Miles Davis erstmals in Deutschland auf dem JazzFest gehört werden konnten, sind nicht wieder herbeizuzaubern. Aber muß es deswegen so sein, daß alles, was schon überall war, zum Schluß auch in Berlin landet? Das 34. JazzFest bringt einige Sternstunden der Sidemen, etwa wenn Roswell Rudd bei Elton Dean auftritt. Aber wo ist – um nur die Naheliegenden zu nennen – Paul Kuhn, der in wenigen Tagen in seiner Eigenschaft als Jazzman zum Ritter geschlagen wird? Wo ist Coco Schumann, dessen Lebenswerk gerade gerühmt wurde? Warum setzt keiner mal Off-Legenden wie Gil Scott-Heron oder Oscar Brown Jr in ein Flugzeug an die Spree?

Wer sich (mit Recht) daran störte, daß der bis zum letzten Jahr mitveranstaltende NDR nach Quoten schielte und darüber seinen öffentlichen Auftrag zu vergessen schien, der kann sich auch (mit Recht) daran stören, daß die JazzFest-Macher mit Blick auf öffentliche Gelder und wegen der damit verbundenen Kompromißlast nur noch ein mittelmäßiges Mainstreamfestival zustande kriegen.

5.–9.11. im Haus der Kulturen der Welt. Infos unter 254890

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