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Wunschträume und Zaubersand

■ Die Familie als interaktive Kleinzelle und ein Junge als wissenschaftlicher Irrtum: „Mein Leben in Rosarot“ von Alain Berliner

Schmucke Vorgärten und großzügige Familienwohnsitze in einem wohlsituierten Vorort von Paris. Hier sind sogar die Fensterläden und Garagentore in Pastelltönen gestrichen und scheint so leicht nichts aus dem Rahmen fallen zu können. Die perfekte Kitschkulisse à la „Toto, der Held“, wo alles allzu freundlich ist und seltsam grell. Leutselig schauen die Nachbarn in amüsierwilligen Scharen bei der neu zugezogenen Familie Fabre vorbei.

Aber das ist nicht die Welt von Ludovic, der just zur Einweihungsfeier im pinkfarbenen Satinkleid erscheint, geschmückt mit Mutters Ohrringen und einem Haarreif, garniert mit Stoffrüschen – und für räuspernde Betretenheit sorgt. Auftritt Ludovic, der Held, den das Schauspielerkind George du Fresne, selbst nur wenig älter, mit weiser Umsicht verkörpert.

Wenn die Zumutungen seiner Umgebung zu arg werden, schließt er die Augen und träumt sich weg in eine bonbonfarbene Welt aus Technicolor, quasi over the rainbow. Regiert wird dieses Fantasy- Reich von einer frei umherschweifenden Barbie-Fee namens Pam, die Zaubersand verstreut und Wünsche in Erfüllung gehen läßt. Dabei sind die geheimen Wünsche für den siebenjährigen Ludo eigentlich längst Gewißheit, denn er weiß: „Wenn ich groß bin, werde ich ein Mädchen!“ Mit großer kindlicher Erfindungsgabe sucht und findet er Erklärungen für sich und seine kleine Persönlichkeit. Er sei eben ein „garçonfille“, ein Jungenmädchen, weil nämlich sein zweites X-Chromosom vom lieben Gott versehentlich in die Mülltonne geworfen wurde, ein „wissenschaftlicher Irrtum“, ganz einfach. Außerdem werde er seinen Schulfreund heiraten, basta.

So wie hier eine – erstaunlich gut informierte – Mixtur gängiger Erklärungsmuster und -moden im Kinderformat präsentiert wird, versteht Alain Berliner seinen Film als „uralte Geschichte, sich für etwas zu schämen, das anders ist“, und als Gesellschaftsparabel. Das wird besonders im zweiten Teil deutlich, als die satt colorierten Einstellungen der Anfangssequenz längst bläulich-bleichen Bildern und grau in grauer Stimmungslage gewichen sind. Auch der Kamerawinkel schaut auffällig oft herab auf die Personen, die sich wie hilflose Schachfiguren aneinander abarbeiten. Denn auch wenn Maman (Michèle Laroque) und Papa (Jean-Philippe Ecoffey) Fabre erst einmal meinen, die „Identitätssuche“ ihres Sprößlings sei Privatsache, sieht das ihr soziales Umfeld deutlich anders. Nicht nur wird Ludovic in der Schule geärgert, auch die Eltern schalten sich mit einer Petition gegen das „exzentrische Kind“ ein. Papa droht seinen Job zu verlieren, und das Haus der Fabres wird mit Sprüchen beschmiert. Die Mutter macht eine jähe Wandlung von der unkomplizierten Kumpelin ihrer Kinder zur panischen Furie durch, die alle Schuld für die öffentliche Degradierung auf ihren Jüngsten ablädt und mit ihren aus Marie Claire gezogenen Weisheiten am Ende ist.

Die Familie wird präsentiert als interaktive Kleinstzelle, die sich dem Druck von außen scheinbar kaum entziehen kann. Dankenswerterweise kommt es aber nie zur anklagenden Farce, dafür sorgen die Kontraste zwischen überzogen realistisch dargestellter Piefigkeit und dem störrischen Kinderglauben Ludovics, der auf seiner rosaroten Welt besteht. Gudrun Holz

„Mein Leben in Rosarot“ (Ma vie en rose). Regie: Alain Berliner. Buch: Chris Vander Stappen. Kamera: Yves Capé. Mit Michèle Laroque, Jean-Philippe Ecoffey, Hélène Vincent, George du Fresne. Frankreich/Belgien/GB 1997, 88 Min.

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