"Ära Milosevic vorbei"

■ Der serbische Oppositionspolitiker Zoran Djindjic will bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember erneut zum Boykott aufrufen

taz: Am 7. Dezember werden in Serbien die Präsidentschaftswahlen wiederholt. Wollen Sie die Wahlen erneut boykottieren?

Zoran Djindjić: Wir boykotieren. Während der Demonstrationen im letzten Winter haben wir versprochen, daß wir für die nächsten Wahlen demokratische Bedingungen erkämpfen. Das bedeutet objektive Berichterstattung in den staatlichen Medien. Das heißt aber auch einen Dialog zwischen Staatsmacht und Opposition über den Charakter der Wahlen. Die Wahlen finden jetzt aber unter ganz anderen Bedingungen statt. Deshalb wäre es ein Rückfall hinter die Forderungen der Demonstrationen, sich zu beteiligen.

Spielt diese Strategie nicht solchen Leuten wie dem Rechtsradikalen Šešelj in die Hände?

Bei diesen Wahlen geht es darum, ob wir an minimalen Bedingungen festhalten. Oder uns auf alles einlassen, was der jugoslawische Präsident Milošević anbietet. Wir entschieden uns für das Prinzip. Das ist eine Investition. Die Kandidatur von Šešelj und sein möglicher Sieg sind etwas Vorübergehendes. Die Aufgabe von Prinzipien würde uns Glaubwürdigkeit für einen längeren Zeitraum kosten.

Wie ist Ihre weitere Strategie?

Wir werden eine positive Wahlkampagne für ein neues und demokratisches Serbien machen. Das bedeutet einen Bruch mit Isolationismus und Verschwörungstheorien. Was wir brauchen, ist ein Modernisierungsprogramm, keine ideologische und nationale Mobilisierung. Es muß ein Konsens über die Zukunft in der Bevölkerung erzielt werden, ohne dadurch die sonstigen Rivalitäten zu erneuern und die Polarisierung zu stärken.

Haben Fragen wie die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag keinen Platz in Ihrem Programm?

Das alles muß zunächst ausgeklammert werden. Wir haben jetzt eine stark polarisierte Gesellschaft. Jedes kontroverse Thema spaltet die Gesellschaft zusätzlich.

Wie wollen Sie die Probleme in der mehrheitlich albanischen Provinz Kosovo lösen?

Mit Gesprächen über den Status von Kosovo, so wie er in der Verfassung vorgesehen ist, sind keine Ergebnisse zu erzielen. Das Vertrauen zwischen den potentiellen Gesprächspartnern ist null. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, um dieses Vertrauen zu bilden. Wir schlagen eine Regierungskommission vor, die die Lage beobachtet und Verstöße gegen die Menschenrechte dokumentiert. Außenpolitisch müßte das Ganze von einem Krisenstab mit Tirana und Skopje flankiert werden. Das wäre ein Signal für die Albaner.

Können Sie sich eine Autonomie für den Kosovo vorstellen?

Kosovo hat laut Verfassung eine Autonomie, und solange sie nicht geändert wird, müßte auch die Autonomie gelten. Auf jeden Fall kann man nicht die Verfassung stillschweigend außer Kraft setzen, so wie es jetzt passiert. Wenn wir der Meinung sind, daß die Verfassung nicht gut ist, müssen wir darüber diskutieren.

Welche Hoffnungen verbindet Serbiens Opposition mit dem Sieg von Milo Djukanović bei den Präsidentenwahlen in Montenegro?

Sein Sieg hat gezeigt, daß Reformpolitiker eine Mehrheit bekommen können, obwohl sie scharf angegriffen werden. Die ganze Kampagne gegen Djukanović galt eigentlich der serbischen Opposition, um das, was in Montenegro geschehen ist, nicht zu einem Präzedenzfall zu machen.

Glauben Sie, daß Montenegro aus der Föderation austritt?

Djunkanović wird alles unternehmen, um das verhindern. Außerdem wird Milošević immer schwächer, seine Ära ist vorbei. Zu lange wurde eine erfolglose Politik betrieben. Die Krisenherde, die er für seine Politik benutzt hat, gibt es nicht mehr. Im Frieden ist Milošević unfähig, die Probleme zu regeln. Er ist kein Politiker des Managements, er ist ein Politiker des Ausnahmezustands. Und das verstehen die Menschen allmählich. Interview: Barbara Oertel