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Perplexe Komplexe

Endstation Satire oder Delikatessengeschäft: John Horgan fragt prominente Forscher nach dem Ende der Wissenschaft und entlarvt sie als Dichter auf Identitätssuche  ■ Von Stefan Löffler

Dumme Fragen gibt es nicht? Berühmte Wissenschaftler sind da anderer Ansicht. Sie werden nämlich gejagt von dummen Fragen. Der Biologe Richard Dawkins, Oxford-Professor für das „Laienverständnis der Wissenschaft“, hat oft geflucht über New Ager, die nach seinen Vorträgen regelmäßig von höheren Wesen und dem Leben im All anfangen.

Bei seiner Kollegin Lynn Margulis erkundigte sich einmal ein gewisser Steven Spielberg, ob sie es für möglich halte, daß ein Außerirdischer zwei Hände mit je fünf Fingern hätte. Thomas Kuhn, Autor einer Theorie wissenschaftlicher Revolutionen als Austausch der Modell-Begriff-Systeme (im Volksmund: Paradigmen), bekam unzählige Briefe einsamer Forscher, die eine Revolution anzetteln und dabei seine Hilfe wollten.

Und Clifford Geertz, Kulturanthropologe am Institute for Advanced Study in Princeton, mußte immer wieder mathematische Modelle der Beziehungen zwischen den Rassen und anderer sozialer Probleme begutachten. Zum Glück gibt es Journalisten, bei denen sie sich ausweinen können, die die richtigen Fragen stellen, vielleicht sogar die Antworten begreifen – Journalisten wie John Horgan.

Horgan ist Starreporter des Wissenschaftsmagazins Scientific American. Er hat seine Porträts und Reportagen der letzten Jahre überarbeitet, ergänzt und verbunden durch eine Frage, die er seit 1989 bei jeder Gelegenheit auspackte: Waren die Naturwissenschaften bisher so erfolgreich, daß für die Zukunft nur noch einerseits Unklärbares, andererseits Details übrigbleiben oder, kurz, daß es mit ihnen zu Ende geht? Der Luchterhand Verlag hat den Originaltitel („The End of Science“) positiv gewendet und die deutsche Ausgabe mit vielen lustigen Stilblüten („Aufbaustudium in öffentlicher Gesundheit“) aufgemotzt.

Die endgültige Theorie ist möglich und nah?

Horgans Frage war offenbar alles andere als dumm. Beinahe fünfzig prominente Forscher gaben bereitwillig ihre Antworten. Wer sie auszählt (so einfach macht es sich Horgan natürlich nicht), kommt auf eine knappe Mehrheit, die der Naturwissenschaft noch eine lange Zukunft vorhersagt. Doch vor allem die Physiker, mit denen Horgan sprach, halten eine endgültige Theorie für möglich, und das in nicht allzu ferner Zeit. Allerdings glaubten sich ihre Fachvorgänger schon im späten 19. Jahrhundert im Besitz der Wahrheit – abgesehen von Details ab der fünften Stelle hinter dem Komma.

Interessanter als die Antworten ist Horgans Theorie über die Motive dahinter. Als Student hatte er außer Naturwissenschaft und Mathematik auch Englisch belegt. Er erinnerte sich an einen Ansatz der Literaturtheorie aus seinen Studientagen, nämlich Harold Blooms Theorie der „Einflußangst“: Jeder moderne Autor führe einen ödipalen Kampf, um sich gegen die Werke der Vergangenheit zu behaupten. Bloom hatte nur Verachtung für die Rebellen aus Prinzip, die er „schwache Dichter“ nennt. Die starken Dichter fänden sich ab mit der Vollkommenheit ihrer Vorgänger. Sie behaupten sich auf neue, auf eigene Weise.

Horgan überträgt das auf die Wissenschaft. Da sei die Suche nach Identität noch schwerer als in der Literatur. Die empirische Wissenschaft habe nämlich wenig Nischen für Neues gelassen. Die gängige Strategie für starke Wissenschaftler sei deshalb die Spekulation. Statt Ergebnissen liefern sie Meinungen, die wieder neue Meinungen nach sich ziehen, aber nicht überprüfbar sind. Horgan nennt es „ironische Wissenschaft“.

Auch Wissenschaft ist Science-fiction

Ihm ist klar: Ironische Wissenschaft ist Journalisten-Wissenschaft. Leute wie er verschaffen ihr Publizität. Viele der Befragten schreiben Bücher über das, was Horgan an einer Stelle die „ewigen Rätsel der jungen Trinker“ nennt, die Entstehung des Kosmos, der Erde, des Lebens oder des Denkens. Diejenigen, die die Antworten schon haben – etwa Dawkins, Stephen Hawking oder Ilya Prigogine –, landen die Bestseller. Wer sie weit in die Zukunft legt, hat als Autor weniger Erfolg.

Horgan formuliert es nicht so platt. Doch anders als viele in seiner Branche, die den großen Denkern und ihren obskuren Ideen huldigen, schreibt er, was er denkt und für richtig hält. Manche Gesprächspartner erklärt er für „phantasiereiche und ehrgeizige Dichter“, für „Phrasendrescher“ und „Illusionisten“. Als ihm Hawking über Wurmlöcher, Baby-Universen und unendlich dimensionale Superstrings doziert, formuliert Horgan ohne falsches Mitleid: Was Hawking von sich gibt, ist Science-fiction.

Viele Interviews haben ihre skurrilen Momente. Von einem Kosmologen will er wissen, ob es ihn nicht bekümmere, daß seine Arbeiten möglicherweise Schwachsinn seien. Ein Neurologe rezitiert ihm ohne klaren Zusammenhang Woody Allen: „Wenn ich mein Leben noch mal leben müßte, würde ich es in einem Delikatessengeschäft verbringen.“ Und ein Physiknobelpreisträger beginnt das Gespräch ungefragt mit einer Fülle Beleidigungen von Kollegen und bittet anschließend, nichts davon zu veröffentlichen.

Doch alles wird übertroffen durch Horgans Besuch einer Konferenz am Santa Fe Institute. Was da über die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis verhandelt wurde, liest sich wie Satire pur. Weltformeln wurden an die Tafel gezeichnet, Aphorismen geprägt („Von der Komplexität zur Perplexität“) und die Limitologie geboren, die Wissenschaft von den Bestandteilen der Wirklichkeit. Alle Beteiligten feierten das Treffen als großen Erfolg. Nur einer schien am Ende ratlos ... Hallo, Mister Horgan, noch Fragen?

John Horgan: „An den Grenzen des Wissens. Siegeszug und Dilemma der Naturwissenschaften“. Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmid. Luchterhand, München 1997. 463 S., 49,80 DM.

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