: Auf wackligen Beinen
■ Der israelische Künstler Safy Etiel zeigt Holzschaukelpferde und lädt mit Dr. Dubel zur Derniere der befristeten Erlebnisbar Paparazzi's ein
Die Pfade von Künstlern sind unergründlich. Nehmen wir z.B. Safy Etiel, 37jähriger israelischer Performance-Macher, Videoinstallateur und zusammen mit Dr. Heinrich Dubel Betreiber der experimentierfreudigen Brachialbar Sniper in Mitte.
Nach zwei Jahren Sniper- Sound-System – das hieß: kompromißlose DJs, die sich alle gleichmacherisch DJ Sniper nennen mußten, Tigerschnaps, der schmeckte, wie ein Tiger unterm Arm riecht, und Snipervision, die größtenteils von Safy stammenden Videocollagen – haben Safy und Dr. Dubel mit neuem Konzept die nächste Erlebnisbar auf die wackligen Beine gestellt: Das Paparazzi's in einer alten Flachdachbaracke in der Friedrichstraße ist seit zwei Wochen für mundfaule Videojunkies und erlebnishungrige, junge Fotografen geöffnet.
Und natürlich steckt hinter dem Namen wieder eine Idee. Im Sniper, das dem Multimediakünstler Safy auch als Atelier und Lager seiner Sammlung von Merkwürdigkeiten diente, war das Fotografieren verboten, im Paparazzi's ist es erwünscht – an die Wände die Fotoapparate gekettet, auf der Toilette tobt ein Blitzlichtgewitter, statt Eintrittsstempel gibt es einen Farbfilm. Und auch hier werden wieder Videos und Musik kunstgerecht zerstückelt, neu gemischt und dem staunenden Publikum vor die konsumierende Nase gesetzt.
Safy Etiel, dessen Videoinstallationen im Kunstmagazin art wohlwollend mit den Werken des japanischen Videopioniers Nam June Paik verglichen werden, setzt bunt, rabiat und erfinderisch Fetzen von Porno- und Kriegsfilmen, alten TV-Serien und obskuren Spielfilmen zusammen, nimmt hier etwas Sinn weg und fügt dort einen neuen dazu.
Sein erfolgreichstes, irritierendstes und bedrückendstes Exponat ziert momentan auch die Gruppenausstellung „Zeitriß“ in der Galerie Johnson & Johnson. Das 1993 entstandene „My little Pony“ besteht aus zwei überdimensionalen Holzschaukelpferden, in deren Nacken ein kleiner Bildschirm eingebaut ist. Gezeigt werden Videos über Kindesmißhandlung, von sexuellem Mißbrauch bis zur Kinderarbeit. Der bis zu charmanten Egomanie selbstbewußte Künstler „schaukelt“ damit respektvoll ein schweres Thema.
Im Rahmen der „Zeitriß“-Ausstellung befinden sich Safys Pferde in der Nachbarschaft von Werken wie „The bed ridden chair“, einer Performance von Shaun Caton und Jeroen Boschna zur Musik von C.O. Caspar. Diese drei „mutierten Überlebenden einer postapokalyptischen Gesellschaft“ (Pressetext) wollen in ihrer angeblich von geistesgestörten Patienten inspirierten Multimedia-Aufführung „Die Kunst der Autopsie“ vorführen – harter Stoff für moderne Menschen.
Zur besseren Kunstverdauung kann man sich danach im Paparazzi's mit einem der exklusiv aus dem „Institut für Gärungsgewerbe“ stammenden Spezialschnäpse kräftig einen löten. Denn laut Betreiber Safy ist die Nachtbar zwar ein „elitäres Produkt, denn nicht jeder kann oder will es verstehen“, aber es macht ihm „Spaß, den Leuten das zu zeigen, was ich selber gerne sehen will“.
Am voraussichtlich letzten Abend – daß die Kneipe nur für eine begrenzte Zeit geöffnet hat, gehört zum Programm – kann man im Paparazzi's wieder Videomixereien angucken und Musikschocks kriegen, eine eventuelle Verlängerung des Kneipenbetriebs ist momentan noch zu verhandeln.
Aber auch wenn die manischen Kneipiers Safy und Dr. Dubel den Zuschlag dazu bedauerlicherweise nicht bekommen würden – ihr nächster Selbstmordgastroclub kommt bestimmt. Jenni Zylka
Paparazzi's, heute ab 24 Uhr, Friedrichstraße 104
„Zeitriß“-Ausstellung in der Galerie Johnson & Johnson, Lehrter Straße 35, Do.–Sa. 16–19 Uhr
Die Performance „The bed ridden chair“ heute, 20 Uhr
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