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Eine Stadt als Performance

Bei der ATP-WM der Tennisprofis versucht sich eine niedersächsische Ansiedlung als Mittelpunkt der Welt zu inszenieren. Die Einwohner sind mit viel Herz bei der Sache  ■ Aus Hannover Matti Lieske

Hannover hat etwa eine halbe Million Einwohner. Das sind ungefähr genauso viele, wie sie Albuquerque in New Mexico aufzuweisen hat, ein – das entnehmen wir der letzten Ausgabe des Rolling Stone – „verschlafenes Städtchen, in dem jeder jeden kennt“. Stellen wir uns also vor, in Albuquerque würde die ATP-WM mit den acht besten Tennisspielern der Welt stattfinden. Erfahren würden sicher alle Bewohner von diesem denkwürdigen Ereignis, schließlich kennt ja jeder jeden, und so etwas spricht sich herum.

Ob aber jeden Tag 15.000 Menschen in eine häßliche, kurzfristig aus dem Boden gestampfte Halle am Stadtrand pilgern würden, um dort drei einseitigen und wenig spektakulären Tennismatches beizuwohnen, dabei begeistert zu toben und jeden halbwegs geglückten Passierschlag so zu bejubeln, als habe gerade Yannick Noah mit einem Durch-die-Beine-über- Kopf-Schlag den Matchball zum Wimbledon-Sieg verwandelt?

Wohl nicht?

Genau dies ist der Grund dafür, daß die ATP-WM nicht in Albuquerque, sondern in Hannover stattfindet. Und die Expo 2000 sowieso.

Im letzten Jahr ging es noch darum, die Frankfurter Jahre der ATP-WM vergessen zu lassen und zu beweisen, daß auch in Norddeutschland ein begeisterungsfähiges Tennispublikum zu Hause ist. Das glückte so ausgezeichnet, daß selbst Pete Sampras, der in einem denkwürdigen Endspiel Boris Becker bezwang, noch heute von einer Atmosphäre schwärmt, „wie ich sie nie zuvor erlebt habe“.

Mittlerweile haben die Hannoveraner ihre lokalpatriotische Mission, der Welt zu beweisen, daß ihre Stadt besonders großartig und Expo wie Tennis-WM absolut würdig ist, vollkommen verinnerlicht. Während das Interesse am Tennis zumindest in Deutschland, einigen anderen europäischen Ländern und den USA rapide zurückgeht, pilgern sie pflichtschuldigst in Massen zum Messegelände, zahlen gepfefferte Eintrittspreise und machen sich auf den beschwerlichen Weg in die Halle 13.

Vor das Vergnügen hat Organisator Ion Tiriac nämlich harte Arbeit, sprich: einen langen Fußmarsch gesetzt. Damit auch jeder Besucher die vielfältigen Verkaufsstände der Sponsoren und das Angebot im sogenannten Entertainmentpark wahrnimmt, befindet sich der Eingang keineswegs in jener Halle, in der gespielt wird, sondern zwei Hallen weiter. Große Hallen, wohlgemerkt.

Endlich am Ziel angekommen, sind die Menschen aber keineswegs verdrossen, sondern stürzen sich, bis obenhin mit guter Laune gefüllt, auf ihre Plätze und übernehmen sogleich die Rolle als perfektes Publikum. Tiriac darf sich rühmen, daß er über eine größere Statistenschar verfügt als einst Joseph L. Mankiewicz bei seiner „Cleopatra“-Verfilmung und diese zudem mit mehr Herz bei der Sache ist. Schon während der Vorstellung der Spieler rast das Volk, Fußgetrappel und Ola inbegriffen. Danach wird jeder gute Ballwechsel mit Ovationen gefeiert.

Schade nur, daß diese Momente so rar sind. Die mit Spannung erwarteten Knüller entpuppten sich in der Regel als öde Partien mit wenig Höhepunkten und ohne jede Spannung. Außerdem waren sie meist schnell vorbei, was den Zuschauern satte drei Stunden unverhoffte Freizeit bis zum Abendmatch einbrachte.

Aber macht nichts. Dann eben zurück in die Sponsorenhalle und die Zeit mit kleinen Einkäufen, Leckereien oder Besichtigungen totschlagen. Es sei denn, man hat Zugang zum von Tiriac schwärmerisch gepriesenen VIP-Village.

In Albuquerque wäre das natürlich kein Problem. Da kennt ja jeder jeden, und Beziehungen öffnen bekanntlich alle Türen. In Hannover ist das nicht so einfach, und so bleibt die Mehrzahl draußen, produziert nebenbei die größte Handydichte Europas, übt Putten auf dem künstlichen Golfplatz, schaut Jonas Björkman – aufregend – beim Training zu, verweilt am Ferrari-Shop, wo komischerweise kein Schumi-Foto hängt, oder ärgert die Leute, die am Mercedes-Stand die A-Klasse präsentieren. Die Frage, ob sie das Auto wohl mal kurz umkippen können, damit man sieht, wie es normalerweise wirkt, wird hier längst nicht mehr als lustig empfunden.

Endlich dann zurück in die Tennishalle zum letzten Match, das leider auch wieder nur ein paar Minuten dauert. Na ja, ist man wenigstens nicht so spät zu Hause, schließlich wartet morgen erneut ein harter Tag. Außerdem kann man auf diese Weise seine eigene Performance als Publikum noch mal im Fernsehen bewundern.

Im heutigen Halbfinale und morgigen Endspiel werden zumindest die Zuschauer das Letzte aus sich herausholen. Gekrönt wird das Ganze dann am Sonntag mit einer „Nacht der Stars“, bei der Thomas Gottschalk, Claudia Schiffer, Jan Ullrich und Ralf Schumacher auftreten sollen. Das wird lustig.

Fragt sich nur, wie lange das so schön bleiben wird. „Meine Geduld ist am Ende“, brummt nämlich taktisch der nimmersatte Ion Tiriac. Die Messe-AG soll gefälligst Koorganisator der WM werden und dabei „alles, was sie hat, frei zur Verfügung stellen“. Wenn nicht, mache er „sofort Schluß“ – oder woanders weiter. Der Veranstalter Expo GmbH hat allerdings einen Vertrag bis 1999. Für das Expo-Jahr 2000 gibt es zudem eine Option. Im nächsten Jahrtausend wird sich die Tennis-WM aber auf jeden Fall einen neuen Standort suchen müssen. „Asien, New York, Paris oder Wien“, schlägt Thomas Muster vor. An Albuquerque hat wohl selbst Tiriac noch nicht gedacht.

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