: Heimweh nach den Wolkenleuten
■ „Mit den Füßen im Himmel“: Ausstellung im Übersee-Museum spannt Bilderbogen über die Provinz Oaxaca
„Ein Mädchen auf einem Fahrrad habe ich dort nie gesehen“, sagt die Leiterin des Übersee-Museums, Viola König. Doch die mexikanische Generalkonsulin in Hamburg hat geradezu diktiert, daß das Bild des Malers Rodolfo Morales aus Oaxaca die Ausstellung über die gleichnamige südmexikanische Provinz eröffnet. Also radelt das langhaarige Mädchen auf dem Bild fortan im Sonderausstellungsraum des Museums am Bremer Bahnhofsplatz herum und betreibt auf ihre Weise Landeskunde.
Denn kommt es wirklich darauf an, ob Frauen in Oaxaca Fahrrad fahren oder nicht? Oder ob sie „hoy como ayer“– „heute wie gestern“– Tortillas zubereiten, wie die Unterzeile auf einem Foto behauptet? Oder ob die dreifüßigen praekolumbischen Gefäße aus der Sammlung des Berliner Völkerkundemuseums im Gegensatz zu anderen Stücken jenes Hauses garantiert echt sind, wie Viola König verspricht? Mit Verlaub und Respekt vor der wissenschafltichen Akuratesse der SammlerInnen und BewahrerInnen im Übersee-Museum: In diesem Haus kommt es nicht so sehr darauf an – und dies vor allem dann, wenn ein derart weiter Bilderbogen aus zeitgenössischer Kunst, Kunsthandwerk, Fotografien, wertvollen Schriftrollen und archäologischen Fundstücken gespannt wird wie in der gestern abend eröffneten Oaxaca-Ausstellung „Mit den Füßen im Himmel“.
Die an der Pazifikküste Mexikos gelegene Provinz geriet vor wenigen Wochen in die Schlagzeilen, als ein Unwetter dort wütete. Ansonsten sind die Tempelanlagen von Mitla und von Monte Albán allgemein bekannt. Weniger bekannt ist, daß die Nachbarprovinz der aufrührerischen Chiapas durch seine 16 Ethnien und 27 Sprachen als Vielvölkerstaat gilt. Noch weniger bekannt ist, daß altmexikanische Schriften dort um 1200 vor Christus erfunden wurden und daß nach Auffassung eines amerikanischen Archäologen ebenda weitere 4.000 Jahre zuvor mit der Maiskultivierung begonnen wurde. Auch, daß die dort lebenden Menschen seit Jahrtausenden „Wolkenleute“genannt werden, darf sich uns jetzt bis ans Ende aller Tage einprägen. Wir sehen, daß das radelnde Mädchen in guter Gesellschaft ist.
Im Geiste des in der Region sehr bekannten Malers Rodolfo Morales schien bei der Radlerin Marc Chagall ein bißchen mitzupinseln. Das ist keineswegs untypisch. „Viele Künstler aus Oaxaca sind in den USA oder in Europa ausgebildet“, weiß Viola König und ergänzt, daß die meisten nach Auslandsaufenthalten wieder zurücckehren nach Oaxaca (wo übrigens auch der mit 2.000 Jahren älteste Baum der Welt wächst). Der Grund zur Rückkehr: „Heimweh“.
Wie Morales verbinden auch andere durch Bilder in der Ausstellung vertretene Künstler moderne und traditionelle Einflüsse. Daß die bis in die Zeit vor der spanischen Eroberung in den 1520er Jahren zurückreichen, zeigt Alejandro Santiago. Der zur Zeit noch in Paris lebende Künstler hat eigens für die Bremer Schau eine Installation zum Thema Totenkult geschaffen. In seiner großformatigen Arbeit greift er Motive von Menschenopferungen auf. Auch ein Mondgott erlebt in der farbenfrohen Installation seine Wiederauferstehung.
In dieser Schau wird das Übersee-Museum wieder seinem guten Ruf eines kulturellen Gemischtwarenladens gerecht. So haben die AusstellungsmacherInnen nicht die geringste Scheu, auch Alebrijes auszustellen. Diese bunt bemalten Tier- und Fabelwesen werden erst seit drei Jahrzehnten hergestellt und vor allem den TouristInnen in Mitla oder Monte Albán verkauft. Erst die andere kunsthandwerkliche Abteilung – Keramik – spannt mit ihren jahrtausende alten Formen den Bogen zurück zu den praekolumbischen Ursprüngen. Von damals allerdings sind Fahrräder nicht überliefert. ck
Übersee-Museum bis 1. Februar
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