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Made in Germany

Trotz Lohnkosten und hoher Steuern produziert Motorola seine Handys lieber in Flensburg als in China  ■ Aus Flensburg Eva-Maria Lecker

Viele Flensburger trauen ihren Augen kaum, wenn sie das Schild „Wir stellen ein“ am Werkseingang des Elektronikkonzens Motorola in der Eckenerstraße 28 sehen. Schließlich liegt die Arbeitslosenquote im nördlichsten Bundesland der Republik bei 16 Prozent, denn das Ende des Kalten Krieges machte Tausende von Beschäftigten in der luftwaffe- und marinenahen Industrie arbeitslos. Aber jetzt werden wieder RadiotechnikerInnen, Monteure und KommunikationselektronikerInnen gesucht. Und so jubeln Mitarbeiter und Geschäftsführung einträchtig mit dem Bürgermeister über die Stärke des Standortes Flensburg, denn erst nach langwieriger Suche hatte sich der Mutterkonzern, der amerikanische Elektronikriese Motorola, für das norddeutsche Städtchen entschieden. Weltweit waren 20 Produktionsstätten für Funktelefone miteinander verglichen worden, China, Schottland, USA und Israel waren in die engere Wahl gekommen, aber das vielgescholtene Hochlohnland Deutschland bekam am Ende den Zuschlag.

„In der Tat waren wir bei den Entscheidungskriterien Schnelligkeit, Qualität und Zuverlässigkeit weltweit führend“, erklärt der Geschäftsführer Heinrich Kore nicht ohne Stolz. „Im Oktober 1996 zum Beispiel ging der Handy-Typ 8700 das erste Mal in die Produktion, und innerhalb eines Monats stellten wir ohne Probleme 100.000 Stück her.“ Für einen Schlüssel zum Erfolg hält Produktionsmeister Arne Mangelsen die gute innerbetriebliche Weiterbildung der Mitarbeiter: „Die Leute hier sollen spüren, daß sie wichtig sind und daß sie eine Perspektive haben, wenn sie gute Arbeit leisten. Individuell, als Team und als Unternehmen.“

Rote Anzeigentafeln leuchten an vielen Stellen in der Werkhalle. „A 737“ oder „B 858“ steht da zu lesen und signalisiert, wie weit die Schicht noch vom angepeilten Soll von 1.000 Stück entfernt ist. Auch die Fehlerquote von A 92,67 oder B 91,95 zeigt an, daß der sonstige Durchschnitt von 96 bis 97 Prozent korrekt produzierter Handys gerade nicht erreicht ist. An anderen Standorten des internationalen Elektronikkonzerns sind die Zahlen wesentlich schlechter. Ein Grund, weshalb die Rechnung, wieviel wo eine Stunde Lohn kostet, nicht immer aufgeht. Entscheidend ist der Lohn pro verkaufsfertigem Produktionsstück.

Mehr als fünf Millionen Funktelefone sollen ab Ende 1998 im neuen Werk im Süden Flensburgs pro Jahr hergestellt werden. Erweiterungskapazitäten sind vorhanden, wenn der Handy-Boom in den Liefergebieten Asiens, Europas und Afrikas weiter ansteigt. Auch wenn die Beschäftigtenzahl von 400 vor sechs Jahren auf mittlerweile 1.600 angestiegen ist, mehr als 150 neue Jobs werden für die Arbeit im neuen Werk 1998 vorerst nicht erwartet – schon das jetzige Werk ist komplett durchrationalisiert.

Größere Spannungen zwischen Management und Belegschaft habe es aber nie gegeben, versichert Hans-Martin Andresen, stellvertreteder Vorsitzender des Betriebsrats. Und das, obwohl die Angestellten 40 und die Arbeiter 36 Stunden pro Woche tätig sind – nicht 35 Stunden, wie es die Tarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie vorsehen. Denn Motorola Flensburg ist nicht im Arbeitgeberverband, und damit sind Tarifverträge für die Geschäftsleitung nicht bindend. Hier wird die Arbeitszeit flexibel geregelt: Einige Mitarbeiter haben eine Schicht von jeweils 10 Stunden, und das sieben Tage hintereinander. Die folgende Woche ist dafür ganz frei. Der Betrieb läuft 24 Stunden, bei Auftragsspitzen wird auch sonntags und, ohne Lohnzuschläge, auch samstags gearbeitet.

Roland Caspar, seit fünfeinhalb Jahren Reparaturtechniker in Flensburg, stören solche Arbeitszeitmodelle nicht. „Wenn ich Familie hätte, wäre das vielleicht anders, aber auch dann würde ich mir sagen, daß man heutzutage eben bestimmte Zugeständnisse machen muß.“ Ärgerlich fänden es die Mitarbeiter nur, wenn sie den Eindruck bekämen, daß die Konzenspitze „absahnt“, während sie verzichten müssen oder leichtfertig Leute entlassen würden. „Als eine Art Vertrauensbeweis“ hat es deshalb auch Montagehelferin Angelika Loth (42) empfunden, daß bei der Diskussion um Lohnfortzahlung im Krankheitsfall das Management von „den 100 Prozent nicht runtergegangen ist“. Der Krankenstand von vier bis fünf Prozent ist für gewerbliche Betriebe nicht schlecht, und Blaumachen kommt den MitarbeiterInnen meist gar nicht in den Sinn, solange das Arbeitsklima stimmt.

Seit 1994 werden die Beschäftigten am Gewinn beteiligt, vor drei Jahren wurde eine Betriebsrente eingeführt, und das neue Werk wird auch einen Kindergarten haben. „Ich erwarte von meinen Leuten Konzentration und vollen Einsatz bei der Arbeit“, erklärt Geschäftsführer Korte seine Unternehmensphilosophie, „aber ich glaube nicht, daß Druck oder gar Angstmacherei die Motivation steigern können. Wichtig ist ein faires Miteinander, das heißt, die Mitarbeiter über Ziele und Methoden zu informieren. Dann können auch schmerzhafte Einschnitte, zum Beispiel, wenn die Gewinnbeteiligung mal ausfällt oder die Löhne nicht steigen, verkraftet werden.“

Größere Probleme bereiten dem Betriebsrat dagegen so manches Statement von deutschen Politikern: „Sie glauben gar nicht, wieviel Mühe es oft macht, im Ausland die Vorurteile vom Arbeitnehmerparadies oder der Freizeitgesellschaft Deutschland zu korrigieren.“ Heinrich Korte weiß, daß die Löhne am Alternativstandort Easter Inch im schottischen Edinburgh tatsächlich 30 Prozent niedriger sind, und vor allem die Lohnnebenkosten in Deutschland unbestrittenermaßen viel zu hoch sind. „In einer personalintensiveren Branche wäre die Standortentscheidung vielleicht anders ausgefallen, aber in Deutschland bieten sich nach wie vor viele Vorteile: Wenn jetzt zum Beispiel Karstadt anruft und bis übermorgen 10.000 Handys ordert, dann arbeiten meine Leute schnell, flexibel, intelligent und zuverlässig. Die Zahl der Kundenbeschwerden und Reklamationsansprüche ist äußerst niedrig, und die Konsensgesellschaft Deutschland verhindert unliebsame Überraschungen, mit denen man an Billigstandorten als Unternehmer oftmals rechnen muß.“

Das Wall Street Journal, immerhin die größte Wirtschaftszeitung der Welt, äußerte sich daher halb beeindruckt und halb verdutzt über die 100 Millionen Mark Investition in Flensburg: „Übermenschen: Hochlohnland Deutschland zieht weiterhin große Investoren an“, lautete die Schlagzeile auf Seite eins. Strengste Arbeitsschutzgesetze, utopische Arbeitslöhne, mächtige Gewerkschaften, extensive Urlaubs- und Feiertage und horrende Unternehmenssteuern hätten ausländischen Investoren viel vermiesen können, aber eines sei nach wie vor weltweit unschlagbar: der deutsche Facharbeiter. Nur so sei zu erklären, daß jüngst auch der kalifornische Mikrochip-Hersteller Advanced Micro Divices 450 Millionen Mark in ein neues Werk in Dresden investierte, und damit rechnet, weitere drei Milliarden Mark in den nächsten zehn Jahren anzulegen. Oder: Takata, der japanische Autozulieferer, der Airbags und Sitzgurte herstellt, errichtete vergangenes Jahr ein neues Werk in Sachsen. 4,7 Milliarden Mark steckte das amerikanische Dow Chemical in ostdeutsche Chemie-Werke. Und der US-Konzern Allstate Insurance plant, in den nächsten fünf Jahren im Süden Berlins mehr als 300 Mitarbeiter einzustellen. Investitionssumme: 250 Millionen Mark. Das Resümee des Wall Street Journals: „Die Deutschen sind vielleicht teuer und unflexibel, aber sicherlich hervorragend ausgebildet und kompetent.“ Für technologiebezogene Unternehmen, zum Beispiel aus der Telekommunikationsbranche, dem Computersektor, der Autoindustrie oder in der Biotechnologie, immer noch die beste Alternative.

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