: Geschlechtsumwandlung durch Hormone im Hafen
TBT-Gifte aus Schiffsanstrichen dürfen künftig nicht mehr im Wattenmeer entsorgt werden ■ Aus Bremerhaven Thomas Schumacher
Der Hafenschlamm aus Bremerhaven darf nicht mehr ins niedersächsische Wattenmeer gekippt werden. Der Schlamm ist hochgradig mit dem Biozid Tributylzinn (TBT) verseucht. TBT verändert den Hormonhaushalt von Lebewesen, so daß sich zum Beispiel weibliche Schnecken in männliche verwandeln. Auch Gefahren für den Menschen sind nicht auszuschließen. Das Hafenamt hat die Bevölkerung aufgefordert, keinen im Hafen gefangenen Fisch mehr zu essen.
Experten vergleichen die Giftigkeit von TBT mit der von Dioxin. TBT ist in Schiffsanstrichen enthalten, die einen Bewuchs der Schiffsböden verhindern sollen – denn Algen, Muscheln und Seepocken am Schiffsrumpf erhöhen den Kraftstoffverbrauch um bis zu 20 Prozent. Verantwortlich für den Eintrag von TBT in Bremerhaven sind Sanierungswerften, die abgestrahlte Schiffsanstriche in die Hafenbecken eingeleitet haben.
Nicht nur das Verschwinden der Wellhornschnecke in der Nordsee ist auf TBT zurückzuführen. Untersuchungen in den Vereinigten Staaten und Belgien haben belegt, daß hormonell wirkende Gifte auch beim Menschen zu Unfruchtbarkeit führen können. Bis vor zwei Monaten bestritt Bremens Hafensenator Uwe Beckmeyer (SPD) eine nennenswerte Belastung des Hafenschlamms mit TBT. Erst nach dem Verklappungsverbot durch die Bezirksregierung Lüneberg wurde das Ausmaß der Verseuchung bekannt. Da spätestens Anfang des Jahres in Bremerhaven gebaggert werden muß, um den Hafen schiffbar zu halten, sucht die Hafenbehörde fieberhaft nach Entsorgungsmöglichkeiten für das TBT. Bis heute verschweigt die Behörde die tatsächliche Höhe der in den Hafenbecken gemessenen TBT-Werte. „Die Messungen sind nicht systematisch gemacht worden. Aus einzelnen Werten könnten falsche Schlüsse gezogen werden“, meint Gerd Markus, Staatsrat beim Senator für Häfen.
Vor einem halbem Jahr fand im niedersächsischen Umweltministerium ein Hearing zu hormonell wirkenden Giftstoffen statt. Wie das Hamburger Meeresforschungsinstitut „limnomar“ nachwies, bildeten sich bei weiblichen Schnecken Penisse aus. Das als „Imposex“ bezeichnete Phänomen führte zur Unfurchtbarkeit der Meerestiere. Experten bezeichnen die Nordseeküste als flächendeckend mit TBT belastet.
Im Gegensatz zu Bremen hat sich Hamburg frühzeitig um eine Entsorgung von TBT bemüht. Mit Investitionen von über 150 Millionen Mark wird dort vergiftetes Sediment in Fein- und Grobsubstanzen zerteilt. So wird die Menge des abzulagernden Giftschlamms reduziert.
Wie der TBT- Schlamm in Bremen entsorgt werden soll, ist bei der angespannten Haushaltslage völlig offen. Klar ist zur Zeit nur, daß die am Hafen liegenden Werften zusätzliche Filteranlagen installieren müssen. Nachdem in Frankreich Ende der siebziger Jahre die Austernzucht wegen TBT-Verseuchung zusammengebrochen war, durften weltweit TBT-haltige Schiffsfarben nicht mehr für Schiffe unter 25 Meter Länge verwendet werden. Nach Auskunft des Bundesumweltamts in Berlin möchte die Bundesregierung TBT-haltige Schiffsfarben international ächten lassen.
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