■ Der Universalismus postuliert die Gleichheit aller und stellt dabei Ungleichheit her. Der Rassismus legitimiert diesen Widerspruch: Die Erfindung des Fremden
Glaubt man den Massenmedien, ist der Traum der multikulturellen Gesellschaft ausgeträumt. Anstatt Interesse aneinander und Neugier herrsche Krieg unter den verschiedenen ethnischen Gruppen. Und die Rechtsradikalen machen weiterhin Straßen und Jugendklubs unsicher für alle, die für sie nicht deutsch aussehen.
Auch die Politik hat deutlich härtere Töne angeschlagen. Wurden die EinwanderInnen vor einigen Jahren noch differenziert entsprechend ihrer Herkunftsländer etwa aus dem Iran, Palästina, oder der Türkei, werden sie heute alle mit dem Islam identifiziert und dieser wiederum mit Fanatismus und religiöser Militanz gleichgesetzt.
Warum werden die Konflikte primär als Konflikte zwischen unterschiedlichen Kulturen interpretiert? Warum wird gerade der Islam zum Gegenspieler, indem islamischer Religionsunterricht mit der Aufstachelung gegen die deutsche Gesellschaftsordnung gleichgesetzt und das Tragen des Kopftuches zum Widerstand gegen den gesellschaftlichen Grundkonsens aufgebauscht werden? Was ist der rationale Kern einer solchen Argumentation?
Es ist keineswegs zufällig, was wir als fremd im Sinne von bedrohlich erleben und was nicht. Womit sich die Menschen vertraut machen und was sie als fremd von sich weisen, hat sehr viel mit ihnen selbst zu tun. Das Fremde, so die Grundthese Freuds, ist eine Konstruktion des Subjekts. Im Fremden begegnen uns verdrängte Anteile, allerdings angstbesetzt und unheimlich. Die positiven Anteile aber bleiben beim Selbst und definieren das Eigene. So werden zum Beispiel Tüchtigkeit, Fleiß und Entscheidungskraft vielfach erkauft durch die Abspaltung passiver Versorgungs- und Verwöhnungswünsche. Diese abgespaltenen Wünsche werden dann auf die „Fremden“ projiziert. Wieviel Aggression dabei im Spiel ist, zeigt sich oft in dem Haß und der Bitterkeit, die in den Vorwürfen zum Beispiel gegen Asylbewerber zum Ausdruck kommen, daß sie sorglos in den Tag hinein lebten und alles umsonst bekämen. Diese Aggression spiegelt den Selbsthaß, der aus der Unterdrückung der eigenen Verwöhnungswünsche resultiert.
In diesem Sinne kehrt Freud das übliche Argumentationsmuster um: Nicht Fremdheit macht aggressiv, sondern die eigenen Aggressionen machen die anderen zu Fremden. In der Feindseligkeit schieben wir die anderen von uns und machen sie uns fremd. So wie wir umgekehrt in Liebe die Menschen an uns heranziehen, so schieben wir sie in der Aggression von uns fort.
Diese Spaltung der eigenen Gefühlsambivalenzen in das negative Fremde und das positive Eigene hat jedoch seinen Preis. Denn diese Konstruktion bedarf der Energie, um die Spaltungen aufrechtzuerhalten und äußert sich in dem ständigen Bemühen, die eigenen Auffassungen sich und den anderen zu bestätigen. Je starrer dies System, desto mehr ist das Subjekt mit der Umdeutung und der ängstlichen Überwachung der so konstruierten Wirklichkeit beschäftigt. Diese Menschen sind unfähig, „Erfahrungen zu machen“. Und diese Abschottung gegenüber neuen Erfahrungen hat den Verlust von Lebendigkeit zum Preis.
Die Angst vor der Erfahrung zeigt sich auch im direkten Kontakt zwischen den Angehörigen der Mehrheitskultur und ethnischen Minderheiten. Das wurde in den USA vor allem an den Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen untersucht. Es zeigt sich zum Beispiel, daß in der U-Bahn die Plätze um Schwarze herum meist frei bleiben. Die Spannung der Weißen zeigt sich auch darin, daß sie sich im Gespräch mit Schwarzen möglichst kurz fassen, eine eher verschlossene Körperhaltung zeigen und versuchen, den Blickkontakt zu meiden.
Gleichzeitig hat man aber als Kind gelernt, so zu tun, als wenn nichts wäre und ist bemüht, sich die Irritation nicht anmerken zu lassen. Und je mehr man so tun möchte, als wenn nichts wäre, desto verkrampfter wird man. So führt das Bemühen um Toleranz erst recht ihr Scheitern vor. Deshalb versuchen viele, den negativen Assoziationen gegenüber ethnischen Minderheiten, zum Beispiel Menschen mit dunkler Hautfarbe, positive Assoziationen entgegenzusetzen, sie zum Beispiel als besonders natürlich oder musikalisch zu bewundern, um so – wie es in der psychoanalytischen Terminologie heißt – durch „Gegenbesetzungen“ die eigenen Aggressionen ungeschehen zu machen. Aber auch diese Idealisierungen sind nur hilfloser Versuch, die eigenen Spannungen abzuwehren.
Bei den Bildern des Fremden spielen die tradierten Feindbilder eine zentrale Rolle. In ihnen verdichten sich Geschichte und Machtbeziehungen. So ist in den Bildern von Menschen mit dunkler Hautfarbe die Geschichte des Kolonialismus eingeschrieben, im Bild vom fanatischen und gefährlichen Moslem der jahrhundertlange Kampf um politische und kulturelle Hegemonie zwischen Morgen- und Abendland. In der Konstruktion von Fremdheit wird also in den Stereotypen und Feindbildern Geschichte fortgeschrieben und zugleich immer wieder neu die Grenzlinie gezogen, wer zu dieser Gesellschaft gehört und wer nicht.
Die Konstruktion von Fremdheit, also die Frage, wer als bedrohlich empfunden wird und wer nicht, ist nicht nur eine Frage realer Unterschiede, sondern auch eine Machtfrage. Wenn Fremdheit das entscheidende Kriterium wäre, so fragt sich, warum wir uns mit dem Fremden nicht vertraut machen. Nicht die Fremdheit als solche ist das Problem, sondern: Was ist das Interesse am Nicht-Wissen-Wollen, und warum werden diese Distanzen immer wieder reproduziert. Distanzen sollen den Status quo aufrechterhalten. Die Verhältnisse sollen bleiben, wie sie sind. Das wird jedoch immer schwieriger, je stärker die inneren und äußeren Widersprüche werden – etwa die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sowohl innerhalb des Landes als auch zwischen reichen und armen Nationen. Angesichts von Hunger, Armut, Krieg und Gewalt fragt sich, warum haben bestimmte Leute ein Recht auf Reichtum und Sicherheit und andere nicht. Das sind irritierende Fragen. Denn einerseits gehen wir davon aus, daß alle Menschen gleich sind und gleichermaßen ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben haben, und andererseits werden wir mit immer krasseren Unterschieden konfrontiert. Wer im Wohlstand lebt, muß also irgendwie erklären und zumindest sich vor sich selbst rechtfertigen, warum er privilegiert ist. Angesichts dieses Dilemmas bieten sich Polarisierungen an. Birgit Rommelspacher
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