: „Unerträgliche Lernverhältnisse“
■ Ulrike Gonzales ist Sprecherin des studentischen Dachverbandes fzs
taz: Nach zwei Wochen Uni- Streik in Hessen werden heute bis zu 50.000 Studierende einen „Marsch auf Bonn“ unternehmen. Was wollen sie erreichen?
Ulrike Gonzales: Die Bundesregierung soll merken, daß im Bildungsbereich zu wenig investiert wird und daß unerträgliche Lehr- und Lernverhältnisse herrschen.
Was heißt unerträglich?
An vielen Unis ist noch nicht mal das Geld da, um die Bibliotheken adäquat auszustatten. Und für die Renovierung der Räume fehlen die Mittel; an so mancher Uni stürzen buchstäblich die Decken ein. Am meisten aber trifft es den wissenschaftlichen Nachwuchs, der inzwischen den Hauptteil der Lehre bestreitet. Seit Jahren wird der Mittelbau radikal weggekürzt.
An wen richten sich eure Forderungen?
Zunächst mal natürlich an die Bundesregierung. Weil es nötig ist, in den Bildungsbereich umzuschichten – und zwar viel stärker, als es mit dem gescheiterten Versuch von 50 Millionen Mark vorgesehen war. Die Landesregierungen stehen genauso am Pranger. Die haben die Hochschuletats systematisch heruntergewirtschaftet.
Rettet mehr Geld die Unis?
Nein. Bei der Geldfrage hat man immer auch gleich die Frage der Geldverteilung. Die Leute, die darüber entscheiden, sind immer noch die Professoren – kraft ihrer absoluten Mehrheit in den pseudodemokratischen Gremien der Uni. Da müssen wir eingreifen. Wir wollen gleichberechtigt an der Mittelverteilung mitwirken.
Was sagt ihr zur Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG), die nun bald Bundesrat und Bundestag passieren soll?
Wir lehnen die Novelle ab. Zuallererst muß ein generelles Verbot von Studiengebühren ins HRG. Da ist die SPD gefordert, die das über den Bundesrat einbringen wollte. Das schlimme am HRG aber sind die Sachen, die rausfliegen sollen: zum Beispiel die Mindestgarantien für unsere Mitwirkungsrechte. Auch die Einführung angelsächsischer Abschlüsse wie den Bachelor lehnen wir ab.
Was hat das Bafög mit all dem zu tun?
Eine Hochschulreform kann nur funktionieren, wenn Studierende materiell abgesichert sind. Und das ist zur Zeit nicht der Fall. Nur 15 Prozent erhalten Bafög.
Welche Perspektive hat ein Protest, der zugleich pragmatische Forderungen und Ansätze zur Weltrevolution formuliert.
An manchen Unis ist es so, daß die Erstsemester sich dem Protest anschließen, weil ein Seminar überfüllt ist. Ein Streik, ein Boykott, die autonomen Seminare, die dann laufen, geben den Studis die Gelegenheit, sich über die Situation an der Uni und ihre eigene Rolle darin klarzuwerden. In ein paar Wochen wird sich zeigen, inwieweit da eine Politisierung stattfindet. Interview: Christian Füller
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