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Die Lust auf Strenge

■ Zum Kräftemessen mit „Vroni“und Mondrians Enkeln: Städtische Galerie eröffnet heute eine Doppelausstellung

Piet Mondrian machte etwas neues. Der Künstler (1872-1944) plazierte klare Formen und Farben auf der Leinwand und war der Co-Erfinder des Konstruktivismus. Eine kühle, strenge, revoltierende Kunst. Aus heutiger Sicht fällt auf, wie unperfekt diese Bilder sind: die Linien ungerade, der Farbauftrag unregelmäßig, der Pinselstrich sichtbar. Geradezu sympathisch das. Aus heutiger Sicht fällt auch auf, daß den Enkeln Piet Mondrians und des anderen ersten Konstruktivisten Kasimir Malewitsch (1878-1935) wohl kaum solch eine Doppelinterpretation blüht. Es geht halt alles heutzutage, wie die Städtische Galerie ab heute in einer neuen Doppelausstellung im großen und im Nebenraum zeigt.

„Der Konstruktivismus war immer ein bißchen Opposition“, sagt István Haász. „Er wandte sich gegen den Postimpressionismus, gegen die offizielle und gegen die bürgerliche Kunst“, fährt der 1946 in Gönc, Ungarn, geborene Künstler fort. Haász, der vor fünf Jahren ein Stipendium in Worpswede absolvierte, ist einer von diesen Enkeln Malewitschs. Und er ist einer von vier Kollegen, die die wahlbremer Künstlerin Anna Solecka-Zach zu der Gruppenschau namens „Fünf Positionen im Kontext“in den Säulensaal der Städtische Galerie eingeladen hat – zu einer Art konstruktivistischem Kräftemessen.

Ach, noch immer diese Themen: Das Spiel – oder die Auseinandersetzung – mit der Perspektive, mit Raum, Fläche, Tiefe, Anfang und Ende. So wie es Haász in seinen Bildern und Reliefs betreibt oder wie es anders die vor 16 Jahren aus Danzig nach Bremen übergesiedelte Anna Solecka-Zach in ihren aus jeweils sieben Einzelbildern zusammengesetzten Wellen ausübt. Sieben und Wellen: Da schwingt die Metaphysik zu den Skulpturen und Bildern der anderen drei Kraftfeldsetzer, von denen zwei – Krzysztof Gliszczynski und Maciej Sienkowski – aus Polen und der dritte, Thomas Barnstein, aus München kommen. Und ihnen allen sieht man zugleich die konstruktivistische Strenge und die sympathische Unperfektheit der Kunst an.

„Ich will zeigen, daß die künstlerischen Positionen in Osteuropa nicht veraltet sind“, sagt Anna Solecka-Zach. Gebongt, denn wir lernen, wie international wenigstens die Kunst geworden ist. „Diese Ausstellung ist ein Kontrast zur stark figürlich ausgeprägten Bremer Schule“, sagt Hans-Joachim Manske, der Leiter der Städtischen Galerie. Auch gebongt, doch immerhin bringt diese Bremer Schule jemanden wie Veronika Schumacher hervor.

Im Nebenraum der Galerie hat die 1995 mit dem Bremer Kunstförderpreis ausgezeichnete Schumacher eine Box aufgebaut, um darin ihren Bilderkosmos zu entfalten. Auf 150 vergilbten Formularblättern zeichnet und collagiert die 1969 in Berchtesgaden auf die katholische Welt gekommene Künstlerin ein Kabinett, das ebenfalls weder Anfang noch Ende hat. Zitate aus Groschenromanen mit „Vroni“als Hauptfigur, Comic-Drastik, Farberuptionen, Aktzeichnungen oder symbolische Klitzekleinigkeiten fügen sich dutzendfach zu einer narrativen Kunstwelt aus Lust und Schmalz, Repressionen, Träumen oder Sehnsucht. Unversehens zieht sie einen in den Strudel ihrer Miniaturen – ein Abenteuer, wie wenig so viel bewirken kann. ck

„Fünf Positionen im Kontext“und Veronika Schumacher „Zeichnungen“bis 21. Dezember; Eröffnung heute, 29. November, 19 Uhr

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