: Daum ist jetzt Daum light
Nach Leverkusens beeindruckendem 4:2 gegen die überforderten Bayern erklärt sich der Ex-Motivator endgültig zum Handwerker und Cheftaktiker ■ Von Katrin Weber Klüver
Christoph Daum lehnte sich lässig zurück, zog an der obligaten Marlboro light, hatte ein frisch gezapftes Pils vor Augen und war – beseelt. Es war der Moment mitzuteilen, was in einem Trainer vorgeht, dessen Mannschaft gerade in Unterzahl und nach 0:2-Rückstand den Meister 4:2 geschlagen hatte. „Deine ganze Seele hüpft.“ Versonnenheit. „Das ist Wahnsinn, so schön.“ Nachdenken. „Und ich bin dafür mitverantwortlich.“
Wohl wahr, denn Christoph Daum ist Trainer von Bayer 04 Leverkusen. Und also derjenige, der die Mannschaft auf- und einstellte, die am Sonntag Bayern München auseinandernahm. Bayern München, das seit dem ersten Spieltag nicht mehr verloren hatte. Bayern München, das unter Trainer Giovanni Trapattoni überhaupt noch nie eine Führung verspielte (behaupten Statistiker). Bayern München, das eigentlich nur auf der Durchreise zum freitäglichen Clash in Kaiserslautern war. Bayern München, das Trapattoni seit dem jüngsten Erfolg in der Champions League in der europäischen Spitze angekommen wähnt. Alles im Soll – bis zum ersten Advent.
Womöglich hatte Bayerns Lehrstunde mit einem strategischen Fehler Daums angefangen. Es war keine besonders gute Idee, Christian Wörns als Manndecker gegen Carsten Jancker spielen zu lassen. Als der Leverkusener nach 35 Minuten wegen einer Notbremse am Münchner Stürmer des Feldes verwiesen wurde, stand es schon 0:2, Jancker-Treffer inklusive.
Präzise hatten die zehn Bayern- Feldspieler ihre Positionen im Trapattonischen Sicherheitsgefüge gespielt. Alles wie ein Planspiel: Die Tore hatten die beiden Stürmer, Giovane Elber und eben Jacker, erzielt. Die Vorlagen zum ersten Treffer hatten Mehmet Scholl als Flinkspund von rechts außen, zum zweiten Michael Tarnat per Freistoß gegeben. Es sah aus, als wolle das Team seine Meisterprüfung in Disziplin ablegen.
Statt dessen zerfiel die Ordnung zusehends, als der Gegner kämpferisch zur Improvisation überging. So als sei die Münchner Mannschaft, hermetisch programmiert auf elf gegen elf, zu keiner Variation in der Lage. Die Münchner Maschinerie hat vielleicht den Vorzug, das Spieler fast beliebig ausgetauscht werden können. Der Nachteil des reinen Gefüge-Denkens ist, daß im Fall des Falles ein Gestalter mit Initiative fehlt.
Lothar Matthäus kann es nicht mehr, Mehmet Scholl wird es wohl nie können. Und von einem zentralen Offensiven wie Thorsten Fink ist kaum mehr als Präsenz in seiner Zone zu erwarten. Nicht aber Inspiration oder Führungsqualitäten. Mario Basler sah in Leverkusen verletzt zu. Nichts illustrierte die Orientierungslosigkeit des numerisch überlegenen Kollektivs besser als das Anschlußtor. Leverkusens Linksaußen Jan Heintze erzielte es in der 45. Minute, jener, die man psychologisch besonders wichtig nennt.
Statt, naheliegend, zu flanken, umkurvte er erst Hamann, dann Fink und drehte vor Scholl die Kurve zum Direktanschluß. Reiner Zufall, wie Heintze später bekannte. „Ich habe vorne keinen gesehen, da mußte ich selbst spielen.“ Es bleibt ein Geheimnis, ob die Bayern diesen Warntreffer in der Halbzeit erörterten. Die Niederlage machte später alle Münchner Spieler stumm. Außer Jancker, der einen Ordner beschimpfte (Jancker: „Halt die Fresse!“ – Ordner: „Typisch Bayern.“), bevor er einen Stuhl zusammentrat.
Bundesliga – Kampf um zwei Champions-League-Plätze:
Tabelle (nach der Vorrunde):
1. 1. FC Kaiserslautern39
2. FC Bayern München35
3. VfB Stuttgart29
4. Leverkusen29
5. FC Schalke 0429
Überliefert ist, was das Bayer- Team beim Pausentee tat. Der Trainer bot der Mannschaft „Lösungsmöglichkeiten“ für die unübliche Situation. „Wir haben Verschieben an der Tafel durchgespielt“, sagte Daum. Stolz. Denn er will nicht mehr nur der bisweilen belächelte Motivator sein, er will endlich auch Lob für sein taktisches Geschick. Und Zonenzeichnen ist eben „keine Motivation, das ist Handwerk“. Beides ging den Bayern in der Pause verloren.
Lediglich der eingewechselte Ruggiero Rizzitelli hätte dem Spiel noch eine Wende geben können. Seine Chance vereitelte Torhüter Dirk Heinen (81.). Vorausgegangen war der Ausgleichstreffer von Kirsten. Den Hattrick komplettierte der Stürmer, der nun in 17 Spielen 14 Tore erzielt hat, in der 90. (Abwehrfehler von Helmer) und 91. (Konter) Minute. „Kirsten“, sagte Anfangs-Libero und später makelloser Jancker-Bewacher Markus Happe, „ist der beste Stürmer der Liga.“ Daum erweiterte: „Einer der besten in Europa.“
Kirsten, der fast jeden Zweikämpfer gewann, sagte: „Mit zehn Mann müssen alle marschieren.“ Manager Rainer Calmund feilscht mit ihm um eine vorzeitige Vertragsverlängerung über das Jahr 1999 hinaus. Alles eine Frage des Geldes. Klar, nur daß kein Spieler so sehr Bayer verkörpert, wie der Stürmer, der vor sieben Jahren aus Dresden kam. Das heißt: „Leidenschaft, Begeisterung, Bayer- Power“, sagt Daum. Nach verquastem Saisonstart wähnt er diese jungen, alten Tugenden nun zurückgekehrt. Weshalb er versonnen einen Zug aus der leichten Zigarette nahm und Gedanken an die Ewigkeit hegte: „Es war ein denkwürdiges Spiel, davon erzählst du deinen Urenkeln noch.“
In der Gegenwart hat Denkwürdigkeit aber leider gar keine Bedeutung. Morgen spielt Bayer im Pokal in Bielefeld, am Sonnabend das erste Rückrundenspiel, vier Tage später in der Champions League gegen den AS Monaco um den Einzug ins Viertelfinale. Angesichts dessen ist Daum immer noch Motivator genug, um zum Aphoristiker zu werden: „Euphorie ist ein schlechter Ratgeber.“
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