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Seenot in der Spaßkultur

■ Zwischen, Amüsement Einmischung und Einschaltquoten: In Oldenburg suchte eine Fachleuteschar nach neuen Konzepten für die Kulturförderung

ie Bremer Kulturszene scheut die Folgen des McKinsey-Reports und klagt – wenn schon über Kultur diskutiert wird – eine inhaltliche Debatte ein. Im benachbarten Oldenburg, wo die Kulturförderung wie in vielen anderen Städten auch gekürzt wird, fand sie schon statt. Die engagierte Kulturamtsleiterin Irmtraud Rippel-Manß hatte zusammen mit der Kulturpolitischen Gesellschaft zu einem Kolloquium geladen, um die Kulturförderungskonzepte jenseits von Ausschußsitzungen und politischer Proporzrangeleien zu diskutieren. „Wieviel Kultur braucht die Stadt – welche Kultur braucht die Stadt?“– diese Fragen erörterten Fachleute am Montag auf dem Podium im Kunstverein Oldenburg vor kulturschaffendem oder kulturinteressiertem Publikum.

Kulturdezernent Eckard Seeber skizzierte in seinen Eröffnungsworten die finanzielle Schieflage der Nation und beklagte die fehlenden Teilnahmemöglichkeiten einer immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe am kulturellen Leben. In einer Art Selbstdiagnose stellte Seeber an sich ein „titanisches Gefühl“fest, das ihn angesichts der drängenden Fragen von sozialer Verarmung und schwindendem Kulturkonsens überkomme: „Eine Gesellschaft ohne tragfähigen Kulturkonsens wird auseinanderbrechen“, so Seebers Prognose.

Doch die Veranstaltung selbst war merkwürdig konsensbetont. Sie erschöpfte sich vor allem in Bestandsaufnahmen, und nur „zwischen den Zeilen“war herauszuhören, wo die wunden Punkte in einer alten Residenzstadt wie Oldenburg liegen: Offenbar in einem überkommenen Selbstverständnis. Konkret: Die gutbürgerliche Stadt war lange geprägt von dem freundlichen Austausch gewachsener Kulturinstitutionen, in denen ein bildungsbürgerliches Publikum sein Selbstverständnis spiegeln konnte. Im soziokulturellen Boom der 70er und 80er Jahre aber schossen Projekte wie Pilze aus dem Boden. Einrichtungen wie die Kulturetage, das Widu-Theater oder das Kulturzentrum Rennplatzstraße sind heute wichtiger denn je und fordern auch in Zeiten leerer Kassen Bestandsgarantien.

Zugleich wollen sich freilich auch die OldenburgerInnen einfach amüsieren – jenseits hehrer Kulturansprüche. Das Angebote der sogenannten Erlebniskultur, so die Analyse des Soziologen Rainer Fabian (Uni Oldenburg), entzieht den gewachsenen Kulturinstitutionen immer mehr an Boden und zwingt ihnen über die politische Schiene Rationalitätskriterien auf. Gewinnmaximierung und Verkaufszahlen – das sind auch ohne McKinsey die Schlagworte, mit denen Kulturpolitik heute geknebelt wird. Als „erlebnisrationale Zielfindung“beschrieb Fabian das neue Kriterium beim Kulturgenuß. Allein er weiß auch, daß sich beim Zappen durch das Kulturregal dieses erhabene Gefühl, an grundsätzliche Fragen des Menschseins zu rühren, niemals einstellen wird. Dieses Gefühl bleibt nach Fabians Ansicht dem Erleben im kleinen Kreise vorbehalten – nachdem man mal wieder Beckett goutiert hat.

Fabian ließ den Geist des Erhabenen durch den Raum schweben, der von Burke über Kant zu Schilller reicht und dem bürgerlichen Kulturkonsens als idealistische Maxime zugrunde liegt. Die Flut der Spaßkultur wird offenbar als Anschlag auf dieses Selbstverständnis erlebt. Doch wer will ernsthaft behaupten, daß man nicht auch bei Techno so'n irres Gefühl verspüren kann? Es geht in der Debatte also auch um Definitionsmonopole. Und offenbar entzieht die kommerzielle Variante der Demokratisierung des Zugangs zur Kultur dem bildungsbürgerlichen Kulturanspruch den Boden: Er gerät unter Legitimationsdruck.

Der ketzerische Kunsthistoriker Detlef Hoffmann (Uni Oldenburg) mochte schon nicht mehr entscheiden, was denn nun der wahre Kunstgenuß sei – Beckett oder die Lektüre der ADAC-Motorwelt. Gleichwohl rettete er sich – und natürlich seine akademische Legitimation – über die Forderung nach fachmännischen Kriterien, die über die Förderungswürdigkeit von Kulturprodukten entscheiden sollen. Menschen, die Zeit haben und über die nötige Seherfahrung verfügen, seien hierzu befähigt – also doch die ProfessorInnen. Schon kontert jemand aus dem Publikum: Da käme inzwischen doch das wachsende Heer von Arbeitslosen in Frage, die sich als kulturbewandert erweisen könnten.

Ein Gedanke, der den Fachleuten nicht so recht schmecken wollte, aber im Prinzip den Thesen Albrecht Göschels vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin entsprach. Er forderte unter dem Schlagwort des „Empowerment“die Einbindung der Bevölkerung in kommunalpolitische Kulturfragen. Goeschel bezeichnete die herrschende Kulturpolitik als „Gewaltakt der gesellschaftlichen Unterscheidung“, dümpelnd im idealistischen Sumpf des interesselosen Wohlgefallens. Eine Demokratisierung der Kultur sei aber weder über Politik noch über Marktgesetze erreichbar. Die direkte Einmischung der BürgerInnen tue Not, um einen Konsens über die Kultur zu erhalten.

Einer, der es mit dieser Art Dialog in Oldenburg versucht hat, ist der Generalintendant des dortigen Staatstheaters, Stephan Mettin. Im vierten Jahr seiner Intendanz wollte er es eigentlich geschafft haben: Das Oldenburger Publikum sollte über eine sanfte Heranführung an sperrige Kost seine Seherfahrung erweitern. Herbe Einbrüche bei der AbonnentInnenschaft zwangen ihn aber zur Kurskorrektur. „Ich habe gelernt, daß bestimmte Themen hier nur eine Minderheit interessieren“, so Mettin.

Bleibt zu hoffen, daß wenigstens der Oldenburger Kulturdiskurs breiter und kontroverser geführt wird, um nicht irgendwann vom Kulturkonkurs a la McKinsey überrollt zu werden. mig

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