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Trotz Seife keine dritte Kerbe

Nach einem kalten, nassen und ungemütlichen 1:3 gegen den VfB Stuttgart im DFB-Pokal konzentriert sich der Regionalliga-Spitzenreiter SSV Ulm auf den Zweitliga-Aufstieg  ■ Aus Ulm Albert Hefele

Die Herren von der Berufsgenossenschaft, Abteilung „Sicherer Arbeitsplatz“, hätten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen: „Seife auf dem Werkstattboden!“ – Wenn sie denn anwesend gewesen wären und wenn man Fußballspieler nach den gleichen Maßstäben beurteilen würde wie andere Werktätige. Dann nämlich hätte man den Termin „DFB-Achtelfinale SSV Ulm – VfB Stuttgart“ am Dienstag absagen müssen. Unmögliche Arbeitsbedingungen. Gefahr für Leib und Leben der Spieler; von den im Stehblock aufs Publikum lauernden grippalen Infekten ganz zu schweigen.

Kalt, naß, ungemütlich. Es gibt geeignetere Orte, um den Abend zu verbringen. Das Donaustadion verbuchte trotz der widrigen Umstände, dank der eigens installierten Zusatztribünen, mit 25.000 Besuchern einen neuen Rekord. Eine ähnliche Kulisse gab es für die Ulmer „Spatzen“ letztmals in der Fußballsteinzeit. Ende der 50er Jahre gegen den damaligen Oberligakonkurrenten Aschaffenburg.

Obwohl die Schwarz-Weißen immer mal wieder für eine saftige Überraschung gut waren; gerade im Pokal. Zu Zweitligazeiten, anfang der 80er Jahre, stellten die Ulmer der seinerzeit erstklassigen Hertha im Olympiastadion ein Bein. Auf der Abschlußliste 1997 befinden sich mit dem 1. FC Köln und Mainz 05 auch zwei Vereine aus den Profiligen.

Zwei Kerben im Colt, wenn man so will. Die Ulmer Favoritenkiller hatten noch Größeres vor. Der Oberbürgermeister Ivo Gönner rechnete es in der Clubzeitung schon mal durch: Noch dreimal spielen, dann sind wir in Berlin. Ulm will endlich wieder großen Fußball, und bis zum möglichen Zweitligaaufstieg ist noch eine Weile hin. Momentan sind die „Spatzen“ immerhin Regionalliga- Spitzenreiter und verfügen mit dem bundesliga- und VfB-erfahrenen Altmittelstürmer Fritz Walter und Regionalligatorjäger Dragan Trkulja über zwei Offensivkräfte, die man besser nicht aus den Augen läßt.

Die Stuttgarter waren also mit durchaus gemischten Gefühlen an die Donau gefahren und sicher nicht beleidigt, daß der Kelch Fritz Walter verletzungsbedingt an ihnen vorüberging. Blieben noch Dragan Trkulja und ein völlig unberechenbarer Untergrund.

Wie es sich für die ansonsten liebliche, in der grauen Jahreszeit aber besonders wetterfühlige Donaustadt Ulm gehört, hatte es pünktlich drei Stunden vor Beginn des Spieles zu schneien begonnen und den grünen Rasen in eine schleimig-weiße Rutschbahn verwandelt.

Ideale Bedingungen für Ausrutscher zur Unzeit und unkontrolliert daherschlitternde Bälle und Spieler. Rahmenbedingungen zudem, die die technischen und athletischen Vorteile des Bundesligisten relativierten. Auf Seife ist eben alles möglich. Nicht umsonst lagen die Stuttgarter bei Halbzeit noch mit 1:0 im Rückstand und bekamen das Spiel erst in den Griff, als sie sich dazu entschlossen, jedem unnötigen Ballkontakt aus dem Weg zu gehen.

Joachim Löw wußte den Sieg und die profihafte Einstellung seiner Mannschaft jedenfalls hörbar zu würdigen: „Wir hatten alle Mühe, das Spiel zu gewinnen.“ Und eine Blamage zu vermeiden, könnte man hinzufügen. Denn die lag durchaus im Bereich des Möglichen.

Der Ulmer Trainer Ralf Rangnick hatte „zwei Matchbälle“ gesehen, die sein Team „ausgelassen“ habe. Die Enttäuschung hielt sich aber in Grenzen. Für die Ulmer zählt der Zweitligaaufstieg. Den zu realisieren, kann man die 400.000 Mark Bruttoeinnahme gut brauchen. Ob man im nächsten Jahr einen weiteren Anlauf finanzieren könnte, ist nämlich sehr unklar. Also: Sonntag muß man beim punktgleichen Tabellenzweiten Borussia Fulda antreten – da gilt's. „Wenn wir an der Spitze überwintern“, sagt Rangnick, „haben wir eine gute Chance.“ Im Januar soll dann auch Fritz Walter zurück sein, der nach seinem Kreuzbandriß im Reha-Zentrum seines Trainers Rangnick am Comeback arbeitet.

Ganz unglücklich war also keiner, auch Franz Wohlfahrt nicht, der lustige Tiroler im Tor des VfB Stuttgart. Bereits nach vier Spielminuten verging ihm freilich das Lachen, als ein vom Ulmer Torjäger Dragan Trkulja getretener Freistoß durch die anfängerhaft gespreizten Beine flutschte. Auf die Schonfrage eines Reporters „War's der Boden?“ antwortete Wohlfahrt dann doch relativ ehrlich: „Das war ich“, und „es wird Ihnen nicht gelingen, mir eine Ausrede zu entlocken.“ Gut gegeben.

Nun ja, er konnte sich Ehrlichkeit leisten, denn schlußendlich gingen die Stuttgarter als Sieger vom Platz. Also: Who cares? Hätte der VfB das Achtelfinale verloren, wären die Antworten wohl weniger gelassen ausgefallen.

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