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Chansons d'amour aus Norddeutschland

■ Im Jungen Theater singt Carsten Golbeck neue und alte Lieder über die Liebe und verhöhnt am liebsten sich selbst

Mann hat es nicht leicht als Chansonnier aus Norddeutschland. Und Carsten Golbeck, der aus einem kleinen Dorf aus dieser Gegend stammt, versuchte bei seinem Auftritt am Mittwoch abend im Jungen Theater erst gar nicht, dieses Dilemma zu kaschieren. Statt dessen baute er es als „running gag“in seine Zwischentexte ein, und im Laufe des Programms wurden dabei die Nordlichter immer steifer und die Franzosen immer mediterraner. Bis er sich zu dem pointierten Bonmot verstieg: „Die Franzosen singen, weil sie so viel fühlen, und wir, damit wir überhaupt etwas fühlen können!“

Auch er ließ auf der Bühne alle Hemmungen und ironischen Brechungen erst fahren, wenn er Chansons von der kürzlich verstorbenen Barbara oder Serge Gainsbourg in französisch interpretierte. Emotional und auch musikalisch am überzeugendsten und tiefsten war er bei Serge Webers Vertonungen von sieben Gedichten von Paul Verlaine, natürlich auch en français.

Da mußte er ja wohl oder übel des öfteren irgendeine „elle“besingen, aber bei seinen eigenen Texten fiel auf, wie wohltuend selbstverständich er als schwuler Künstler in seinen Liedern „er“singen konnte, wenn es um das Objekt seiner Begierden ging. Seine Lieder waren meist klug getextete Miniaturen. Etwa darüber, wie gut „Sex nach einem Streit“sein kann, oder davon, daß er mit kommerziel-lem Mist ein Star werden will, oder gar über die Liebe in Venedig. Zugegeben, kein allzu originelles Thema, aber der schmachtende Gondoliere wurde darin immerhin durch die „buckligen Brücken“in Schach gehalten. Man kann auch über die aus der „Brust wachsenden Flügel“mäkeln (müßte man damit nicht ständig auf dem Rücken liegend fliegen?), aber dafür ist Carsten Golbeck ein sehr charmanter und witziger Performer, dessen hochironische Ansagen oft länger sind als die Lieder selber.

Und die kleine Form des Chansons mit dem immerwährenden Balanceakt zwischen Kitsch und allzu literarischen Prätentionen beherrscht er souverän. Mit den süffig und jazzig spielenden Musikern Marc Lüdicke an Keyboard und Piano sowie Rainer Wind am E-Bass klang Golbecks Musik erstaunlich zeitgenössisch – da war nur wenig von der Klampfen-Nostalgie deutscher Chanson-Sänger zu spüren. Bei den Stücken, die nur auf die Lacher hin konzipiert waren, näherte sich Golbeck zwar manchmal gefährlich den Untiefen solcher „Blödelbarden“der 70er wie Ulrich Roski. Aber seine Coverversion des alten Ohrwurms vom „Mr. Sandman“in englisch, französisch und norddeutsch war so komisch, daß man sich nur über dieses neue, sehr vielversprechende Talent der deutschen Chanson-Szene freuen konnte. Ein friesischer Aznavour? Pourquoi Pas!

Wilfried Hippen

heute und morgen um 20.30 Uhr, am Sonntag um 19 Uhr im Jungen Theater; Silvester ab 21 Uhr im Moments

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