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Güldener Kartoffelschmuck

Kein Weihnachtsfest ohne weihevolle Dekoration, kein Konsumrausch ohne Verzauberung. Doch die Stimmung in deutschen Landen ist überaus regionenspezifisch  ■ Von Tanja Fiedler

Spätestens wenn sich die ersten russischen Straßenmusiker in rote Kapuzenmäntel kleiden und auf dem Alex eine Eislaufbahn eröffnet, setzt der Drang nach güldenen Kerzen und Flitter auf Tannengrün ein. Kein Konsumrausch und kein „Schöner die Glocken nie klingen“ ohne „stimmungsvolle Dekoration“, die laut einem Schöner-Wohnen-Magazin Lust macht, „sich ganz auf diese Mischung von Verzauberung und erwartungsvoller Spannung einzulassen“. Dementsprechend rauschhaft versinkt alljährlich das deutsche Land unter mindestens 4.000 Festmetern Christbaumschmuck, nicht mitgerechnet die notwendigen Accessoires vom Kerzenhalter mit Puttenform bis zum Leuchtstern aus Platin. Hallelujah und dem Kaufhaus ein Wohlgefallen. Auch wenn sich manche ganz von Rauschgold mit Sternschnuppe fernhalten und andere stillen Protest üben, indem sie die Wohnzimmer-Fichte mit Bio-Kartoffelschalen, Präservativen und leeren Bierdosen ausstaffieren, wird es in der Mehrzahl der bundesrepublikanischen Wohnstuben jahreszeitlich bedingt bürgerlich-gemütlich. Nur, daß die Idee von Heimeligkeit im Zeichen des Adventskranzes von Region zu Region eine höchst unterschiedliche ist. Allerorten vermischen sich Tradition, Folklore und landesspezifische Stimmung zur weihnachtlichen Inneneinrichtung.

Im Odenwald stehen Holzpferdchen vom Gäulchenmacher am Adventssonntag auf dem Tisch, der im Münsterland mit Stutenkerlen bestückt wird. Die Pfeife rauchenden Männchen erinnern an Kiepenkerle, die überall in Münster als Brunnenfiguren zu finden sind und in ihren historischen Kiepen das Heizholz aus dem Wald tragen. Die Schwaben machen auch zur Weihnachtszeit ihrer legendären Sparsamkeit alle Ehre. Im nationalen Vergleich liegen die Spätzleerfinder laut Umfrage bei Christbaumschmuckherstellern an letzter Stelle der Käufer. An ihren Bäumen hängen im Durchschnitt nur 18 bis 20 Kugeln, in Hessen und Rheinland-Pfalz können es bis zu 40 Stück sein. Dafür darf es bei den Süddeutschen emotional und bunt zugehen, während die Hamburger lieber diszipliniert und stilvoll Ton in Ton schmücken, in Silber und Creme.

Bereits 1860 wurden die Kugeln im Thüringer Wald erfunden. Die aufgeblasenen „französischen Perlen“ lösten damals schnell Äpfel, Nuss und Mandelkern als Baumschmuck ab. Glasbläser stellten die ersten Exemplare in Handarbeit her und versiegelten die teilweise 500 Gramm schweren Kugeln mit hochtoxischem Blei. Erst später verwendete man für den Glanz ungiftiges Silbernitrat.

Ganz ohne den schönen Schein kommen dagegen die Hiddenseer aus. Auf der Insel ist es seit Jahrhunderten Brauch, daß nicht der Tannenbaum, sondern der Bögelboom aufgestellt wird – der Baummangel auf dem Eiland zwang zum Sonderweg. Zwei Bügel von Heringsfässern werden auseinandergebogen und über Kreuz auf einer drehbaren Holzplatte befestigt. Mit Buchsbaum wird das Metall dann umwickelt und am Morgen des Heiligabends mit Backwerk,

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Pfefferkuchen, Goldflitter und farbigem Papier geschmückt.

Nicht Lichter oder Kugeln, sondern vergoldete Kartoffeln zierten 1755 den ersten Weihnachtsbaum in Berlin, der im Haus des Kaufmanns Gotzkowsky stand. Die ganze Dekadenz war als Reklame für die Kartoffel gedacht, das Gewächs sollte als Grundnahrungsmittel in Deutschland etabliert werden. Heute dominiert in der Stadt weniger vorweihnachtliche Stilfalt als exzessiver Einsatz von Lichterketten und pulsierenden Sternen. Nußknacker und Pyramiden finden sich im Erzgebirge. In der DDR wurden die Lichterengel, Räuchermännchen und Fabeltiere, die vielarmigen Leuchter und Kerzenständer noch von der VEB Erzgebirgische Festartikel produziert und mit Blick auf sozialistische Erziehungsprinzipien mit dem Ziel „Förderung des Heimatbewußtseins“ geduldet. Ein klassenkampftechnisch nicht ganz korrekter Ansatz, denn im vorigen Jahrhundert besserten arme Bergmannsfamilien ihren kargen Lohn mit der mühevollen Heimatarbeit auf. Die Helden der Arbeit schnitzten und drechselten unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Den Figuren sieht man die Qual nicht an: Ganze Bergmannsparaden treffen da auf schwarzgekleidete Kurrendesänger mit runden Hüten, auf Tannenbäume und Glöckchen, posauneblasende Lichtgestalten und mollige Kurzhemdengelchen. Handwerkskunst zwischen Kitsch und Tradition, die sich bis nach Amerika verkauft.

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