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Palme-Mord zum dritten

Staatsanwaltschaft will Prozeß neu aufrollen  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Steht die Ermordung von Schwedens Ministerpräsident Olof Palme vor fast zwölf Jahren vor ihrer Aufklärung? Das meinen jedenfalls Ermittlungsbehörden und Staatsanwaltschaft. Gestern begehrte Staatsanwalt Klas Bergenstrand beim Obersten Gerichtshof ein Wiederaufnahmeverfahren gegen Christer Pettersson. Dieser war vor acht Jahren von dem gleichen Gericht freigesprochen worden. Nun will man neue Beweise haben: ein Zeuge, der ihn zu seiner Tat angestiftet hat, ein Zeuge, von dem er eine Waffe bekommen hat, ein Zeuge, der ihn am Tatort gesehen hat.

Offenbar erschlagende Beweise, die sich bei näherem Hinsehen allerdings nahezu wieder in Luft auflösen: Der angebliche Anstifter, der wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilte Lars Tingström, ist tot. Sein angebliches Geständnis machte er kurz vor seinem Tod mündlich und einsam seinem Rechtsanwalt Pelle Svensson gegenüber. Der ist nun seinerseits eine recht schillernde Gestalt und machte sein angebliches Wissen erst ein Jahr später öffentlich.

Der zweite Zeuge, Drogenhändler und Spielhöllenbesitzer Sigge Cedergren, ist ebenfalls tot und machte seine Aussage bezüglich einer – möglichen – Tatwaffe schwer krank und in einer mehrdeutigen Videoaufzeichnung einem Journalisten gegenüber. Und der vermeintliche Tatortzeuge hat nicht nur ebenfalls ein stolzes Vorstrafenregister, sondern sagte vor acht Jahren im Prozeß gegen Pettersson das Gegenteil aus. Mehr als ein Jahrzehnt später will er sich besser an die Tatnacht erinnern können als in den Zeugenaussagen unmittelbar nach der Tat.

Zu allen neuen „Beweisen“ tauchte daher in den schwedischen Medien die Frage auf, ob diese nicht eher vom Motiv getragen sein könnten, an die nach wie vor ausgesetzten 50 Millionen Kronen Belohnung, umgerechnet zwölf Millionen Mark, heranzukommen.

Da auch in Schweden Zeugen „vom Hörensagen“ nahezu keinen Beweiswert haben und es keine objektiven Beweismittel gegen Pettersson gibt, wird der jetzige Versuch eines Wiederaufnahmeverfahrens von JuristInnen als eine Art Verzweiflungstat gewertet. In beinahe zwölf Jahren ist es der schwedischen Polizei nicht gelungen, den Palme-Mord aufzuklären. Der Versuch, zum dritten Mal den gleichen Verdächtigen zu präsentieren – einen alkohol- und drogenabhängigen Kleinkriminellen, der nie vorher mit Schußwaffen zu tun hatte, aber plötzlich auf den Gedanken gekommen sein soll, das Staatsoberhaupt zu erschießen –, obwohl es nach wie vor weder eine Tatwaffe noch ein Motiv gibt, dürfte eine Art Schlußpunkt markieren, nach welchem man die Ermittlungen auch formal einzustellen gedenkt.

Palme-Ehefrau Lisebeth will Pettersson als Täter wiedererkannt haben. Aufgrund ihrer Aussage war er im Juli 1989 von einem uneinigen Schöffengericht – die BerufsrichterInnen sprachen schon damals frei – zunächst verurteilt, vom Obersten Gerichtshof vier Monate später allerdings freigesprochen worden. Wegen ihres Schockzustands, Widersprüchen in ihren Aussagen und groben Fehlern bei der ursprüngichen Identifizierung war ihrer Aussage kein Beweiswert zugemessen worden. Es wird davon ausgegangen, daß der Oberste Gerichtshof in spätestens sechs Monaten entscheiden wird, ob es zu einer Wiederaufnahme kommt.

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