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Existenzgründung kein Allheilmittel

■ Kleine Firmen schaffen weniger Arbeitsplätze als erhofft / Ergebnisse eines Bremer Workshops zur Arbeitsmarktforschung

Fakt ist: Unternehmerische Selbständigkeit ist in Deutschland seit 1995 wieder rückläufig. Und: In den fünfzehn Jahren Existenzgründungs-Boom zuvor entstanden in neuen Betrieben statt der erhofften fünf gerade mal zwei bis drei Arbeitsplätze pro Betrieb. Dies errechnete Bernhard Lageman vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Die Stellungnahmen auf dem Workshop „Kleine und Mittlere Unternehmen in der Arbeitsmarktforschung“, der an diesem Wochenende in der Bremer Uni abgehalten wurde, fielen entsprechend lakonisch aus, die Prognosen waren eher skeptisch.

Dorothea Schmidt, Soziologin an der Berliner Fachhochschule für Wirtschaft: „Natürlich bringen Neugründungen im High-Tech-Bereich zur Zeit noch Arbeitsplätze. Aber sie gleichen nicht die Verluste in anderen Branchen aus. Ich warne zudem: Was heute High-Tech ist, ist morgen Schnee von gestern. Möglicherweise auch die Bremer Raum- und Luftfahrt-Technik. Auch die Stahlindustrie dachte einst, sie würde ewig wachsen.“Die 52jährige Ex-Bremerin hatte gemeinsam mit Dieter Bögenhold, Privatdozent in der Bremer Uni, zu dem Workshop eingeladen. Diskutiert werden sollte, wieviel dran ist an der anhaltenden „Euphorie“für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der deutschen Politik.

Im Groben unterstrich René Leiser vom Mannheimer Institut für Mittelstandsforschung die Forschungsergebnisse von Bernhard Lageman aus Essen. Bei 890.000 Arbeitsplätzen, die deutsche KMU's in den letzten zwanzig Jahren zusätzlich geschaffen haben, sei es verständlich, wenn sich die Politik an den Strohhalm „Existenzgründung“klammere. „Doch der Hoffnungsträger wankt“. Seit 1995 würden selbst Betriebe mit vier bis 19 Beschäftigten Personal abbauen.

Verschieden sind die Zukunftsperspektiven der Forscher. Bernhard Lageman aus Essen setzt heute auch wieder Hoffnung in Großbetriebe – diese hätten die Leanproduction-Welle „mit Bravour bewältigt“. Leiser als Arbeitsmarktforscher aus Mannheim hingegen setzt trotz Niedergang weiter auf das Kleingewerbe. Seine Hoffnungsträger findet er in der Nische „stoffliche Dienstleistung“. Unter diese begriffliche Innovation faßt er kleine und mittlere Unternehmen auf lokaler Ebene, die moderne Techniken mit Wartung, Installation, Reparatur verbinden. Das kann Kommunikationstechnik sein. Vor allem aber denkt Leiser bei diesem Begriff an die traditionellen Ausbau-Betriebe vom Tischler bis zum Heizungsmonteur.

Überhaupt beschworen die Sozialwissenschaftler an diesem verregneten Wochenende in Bremen eher klassische Tugenden. In vier Referaten wurde der Einfluß der lokalen, branchenübergreifenden und vor allem privaten Netzwerke auf die Stabilität von Kleinunternehmen betont. Papas Kontakte und Opas Erbschaft bleiben die Stütze der Jungunternehmer.

Nach einer „neuen Kultur der Selbständigkeit“, die seit 1991 als wirtschaftspolitische Selbst-Stimulans die Runde macht, suchten die Forscher hingegen intensiv. Aber vergeblich. Lust auf Unabhängigkeit und Risiko hängen mehr von den Rahmenbedingungen ab als von der Unternehmer-Persönlichkeit, so der Dortmunder Heinz Klandt. Und Bernhard Lagemann pointiert: „Eine Bundesregierung, die die Liberalisierung des Strommarktes so betreibt, daß zugunsten der Großunternehmen Neugründungen verhindert werden, sollte nicht von Selbständigen-Kultur reden.“Fragwürdig sei dieses neue Ideal allemal. Man müsse sich dazu nur die Situation der „selbständigen Einpacker und Tütenträger“oder „halbselbständigen Telearbeiter“in den USA angucken, die ohne Sozialversicherung und am Existenzminimum leben. ritz

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