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Werners Kopf bleibt immer oben

Auch nach dem 1:3 gegen den VfB Stuttgart will bei den abstiegsgefährdeten 1860ern niemand etwas von „Lorant raus“-Rufen hören oder -Plakaten sehen  ■ Aus München Nina Klöckner

Ganz unten war es einigermaßen warm. Dafür sorgte die Rasenheizung, die das Grün im Münchner Olympiastadion erwärmt und vom Schnee befreit hatte. Aber die Luft war kalt und wurde immer kälter. Das ist nicht jedem gut bekommen.

Die Anzeigetafeln zum Beispiel wollten ihren Dienst erst nach der Pause antreten und blieben bis dahin schwarz. Und Horst Heldt, Flügelläufer bei 1860 München, gab nach der 1:3-Niederlage seines Arbeitgebers einige Gedächtnislücken preis. „Wir haben nicht gegen irgendwen verloren“, sagte er. Sondern? „Gegen den VfB Stuttgart“, immerhin Dritter der Bundesliga-Vorrunde, der auch noch „in was weiß ich was für Pokalen mitmacht“. Bei seinem Kollegen Jochen Kientz hatte sich der Frost offenbar in Augen und Ohren festgesetzt. Die „Lorant raus“- Rufe der Fans habe er nicht gehört. Von einem Transparent mit gleicher Forderung wußte er auch nichts.

Wenigstens Stuttgarts Trainer Joachim Löw konnte sich ziemlich genau daran erinnern, was er an diesem Nachmittag gesehen hatte: Ein Spiel mit „zwei verschiedenen Halbzeiten“. Im ersten Durchgang sei seine Mannschaft überhaupt nicht ins Spiel gekommen, sagte er. Stimmt.

Die Gastgeber dafür um so besser. In den letzten beiden Partien hatten die Löwen kein Tor zustande gebracht. Den Polen Peter Nowak hatte Trainer Lorant zwar auf die Tribüne verbannt, weil er wegen des geplanten Wechsels in die amerikanische Profiliga nicht frei sei im Kopf. Dafür konnte Bernhard Winkler wieder mitmachen, der wegen eines Muskelfaßerrisses dreimal pausieren mußte. Nach zehn Minuten köpfte er erst Stuttgarts Torwart Wohlfarth an, nickte den Abpraller aber höchstselbst über die Linie.

Das spricht für die Klasse Winklers, aber auch für die Abhängigkeit der Mannschaft von diesem Mann. Deswegen hat sich die Vereinsführung nach einem geeigneten Partner für den einzigen Stürmer mit Torgarantie umgesehen. Der Marokkaner Abderrahim Quakili wurde für 750.000 Mark vom Zweitligisten FSV Mainz 05 weggelockt, darf aber frühestens nächste Woche mitmachen. Auch ohne den neuen Hoffnungsträger hätten die Sechziger erhöhen können. Jens Jeremies schickte Heldt in der 28. Minute mit einem gekonnten Steilpaß alleine aufs Stuttgarter Tor. Doch der zielte knapp daneben. Die Stuttgarter erarbeiteten sich in der ersten Hälfte nur eine einzige Chance.

Wahrscheinlich wäre es auch nach der Pause so weitergegangen, wenn die Gäste nicht um ihre Gesundheit gebangt hätten. „Es war so kalt“, sagte Verteidiger Schneider, „da mußten wir einfach viel laufen.“ Nach einer Stunde sprintete er die rechte Außenbahn entlang und zwirbelte den Ball vors Tor. 1860-Torwart Hoffmann tauchte elegant unter der Flanke durch, Akpoborie köpfte vors und Raducioiu ins leere Tor: 1:1 (63.).

Zwei Minuten später grätschte der fleißige Münchner Verteidiger Guido Gorges eine Stuttgarter Flanke ins eigene Tor. Pech. Das war's dann für die Löwen. Kurz vor Schluß traf Balakow erst den Pfosten und spielte wenig später seinen Freund Akpoborie so geschickt an, daß der den Ball nur noch über den Münchner Torwart lupfen mußte. Drei glückliche Momente reichten den Stuttgartern, das Spiel für sich zu entscheiden, was bei Löw die Hoffnung nährt, noch vor der Winterpause dem FC Bayern auf den Pelz rücken zu können.

Die Münchner Löwen aber sind jetzt 14. und stehen am Rande der Abstiegszone. Doch das scheint niemanden zu beunruhigen. „Wir haben besser gespielt als gegen Bochum“, lobte Heldt sich und seine Kollegen. Schlechter geht es auch nicht mehr. Auch Trainer Lorant war ungewohnt zahm. „Mit dem Spiel bin ich zufrieden“, sagte er, „nur mit dem Ergebnis nicht.“

Daß die Fans nach der fünften Heimniederlage in dieser Saison seinen Kopf fordern, interessiert ihn nicht. „Mein Kopf bleibt immer oben“, sagte er. Und er hat recht. Sechzigs gewichtiger Präsident Wildmoser weist noch immer jede Kritik an seinem Trainer zurück, „weil i des für einen Blödsinn halt“. Außerdem hätten die Fans ihr Transparent in der Halbzeit beschämt eingerollt. „Das spricht doch eher für als gegen den Trainer“, sagte er. Daß sie es eine Viertelstunde vor Schluß wieder ausgepackt haben, muß Wildmoser entgangen sein. Es war wirklich sehr kalt an diesem Nachmittag.

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