: Aus einer Imbißbude
■ Wie zeitgemäß ist Kunst aus L.A.? Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt mit "Sunshine & Noir" fröhliche kalifornische Durchgeknalltheit
Manchmal ist es ganz erstaunlich, wie sehr eine Ausstellung vom Museum abhängt, in dem sie gezeigt wird. In Humblebæk bei Kopenhagen steht Lars Nittve ein Haus zur Verfügung, das der dänische Industrielle Knud W. Jensen für die ganze Familie eingerichtet hat. Dort gibt es Malzimmer für Kinder, ein Terrassen-Café, einen umgebauten Wohnbereich voll entzückend kleiner Kabinette und bungalowartige Stockwerke mit Blick aufs Meer.
Das verwinkelte Gebäude paßte prima zu den esoterischen, monolithischen oder auch bloß in der Garage zusammengepuzzelten Objekten von „Sunshine & Noir“, einer Retrospektive über Kunst aus Los Angeles von 1956 bis heute. Vier Jahre hatte Nittve daran gearbeitet, daß sich die Werke stets ergänzen konnten: daß man von Raymond Pettibons Schwarze-Serie-Zeichnungen in einen dunklen Gang schleichen mußte, um in Paul McCarthys verschmuddelter Imbißbude die Überreste seiner „Bossy Burger“- Performance zu finden; daß man, aus dem Keller kommend, im Wintergarten auf Diana Thaters sanft umwölktes Videopanorama „If I was in LA“ traf; und daß die zwölf überdimensionalen Cop-Uniformen von Chris Burden im Durchgang zum Museumsshop wie Clownskostüme aussahen. Selbst auf dem Weg zum Klo mußte man sich noch an ein paar Folterapparaten aus Kiefernholz von Mike Kelley vorbeistehlen. Alles war ein bißchen verwirrend und doch wunderbar leicht arrangiert, wie auf einer Tanzparty, bei der es dem Gastgeber aufs Fest und nicht so sehr auf die Gäste ankommt.
Jetzt ist die Ausstellung in Wolfsburg zu sehen, das kalifornische Bastlerwesen funktioniert noch immer, nur tanzen kann man hier nicht mehr. Eher schon trottet man brav Koje um Koje und Wand für Wand entlang, wo nun alles sehr dicht gedrängt hängt, steht, klebt und flimmert. Was in Humblebæk verstiegen wirkte, bleibt in Wolfsburg kurios und zwanghaft zeitgemäß. In Anlehnung an die „young british art“-Show aus dem letzten Jahr sollte es genauso poppig zugehen, „weil beide Orte im Moment interessanter sind als New York“, so Wolfsburgs Museumsdirektor Gijs van Tuyl in seiner Eröffnungsrede. Außerdem würde sich das Thema der Arbeiten unmittelbar aus dem Bezug zu ihrem Entstehungsort erklären: „Los Angeles hat Sonnen- und Schattenseiten: Es gibt die Naturkatastrophen, es gibt die Künstlichkeit von Hollywood, und es gibt die konkrete Gewalt der Stadt.“
Windschnittig wie Surfbretter
Daß sich der Alltag in der Kunst widerspiegelt, macht die Arbeiten jedoch sehr komplex und mindestens vom Kontext abhängig. Tatsächlich zeigt sich in der windschnittigen Form einiger Polyester-Objekte, daß manche Künstler in den Sixties als Strandwächter oder Surflehrer ihren Lebensunterhalt verdient haben – die Beach Boys ständig als Gesamtkunstwerk im Ohr. Überhaupt ist die künstlerische Entwicklung Kaliforniens für „Sunshine & Noir“ an Einzelfiguren gebunden: In den fünfziger Jahren waren es zunächst Edward Kienholz und Wallace Berman, deren Sperrmüll-Environments oder Sexcollagen schwer Richtung Cut-Up-Technik und Beat-Literatur abzielen; später wurden Objekte wie die Plastiksäulen von John McCracken, Larry Bells leere Glaskästen oder die Lichtinstallationen von James Turrell zum Markenzeichen für die recht psychedelische Mischung aus Naturburschenhaftigkeit und LSD-Astronautentum an der Westküste.
Als sich in den frühen siebziger Jahren die Szene politisch ausdifferenziert, tauchen plötzlich feministische Workshop-Videos des „Womanhouse“ oder afroamerikanische Identity-Spiegelbilder à la David Hammons auf (Judy Chicagos umfängliches Keramik-Ambiente fehlt leider). Und seit Mitte der achtziger Jahre wird eben mit Leder, Hardcore und Trash gearbeitet, sei es in Catherine Opies fotografierten S/M-Selbstporträts, Jim Shaws „Pizza Face Paintings“ oder den gesammelten Heimwerkerphantasien von Jason Rhoades, die einen Raum mit Baumarktware ausfüllen. Am Ende sieht Kunst made in L.A. wie eine Ballung zusammengezappter Newsclips aus, nur auf das Rodney- King-Video wurde verzichtet (in der New Yorker „Black Male“- Ausstellung 1995 war es als Readymade der Medien zu sehen gewesen).
Und irgendwie haben sie ja auch alle recht. Los Angeles ist Menschen- und Maschinenpark zugleich, ein unüberschaubares Stadtnetz, in dem sich für sämtliche Tribes und Triebe eine Nische findet. Deshalb hatte Nittve die Ausstellung jedoch mit viel Umsicht als Labyrinth angelegt, damit man sich wenigstens selbst nur wie ein Pendler durch das Gewühl voranbewegen oder zwischen lauter Lebensentwurfspröbchen verlorengehen konnte. Für Cultural Studies war dagegen Mike Davies zuständig, der in seinem Katalogbeitrag heftig auf die Gentryfizierung der Chicano-Ghettos einschlägt: Ohne die Verdrängung der Kiezbevölkerung durch einschlägige Hipsterkünstler in den achtziger Jahren hätte es vielleicht gar keine Riots gegeben. Seither wohnt der Punk-Underground dort mit einem Stacheldrahtzaun um das eigene Heim. Insofern ist der Unterschied zwischen Watts und Beverly Hills in Sachen Sicherheit nur marginal.
Schmuckstücke ohne Neighbourhood
Von solchen Problemen mit der Neighbourhood ist in Wolfsburg lediglich ein Anspruch auf allgemeine Buntheit übriggeblieben. Obwohl der Gesamteindruck weiterhin chaotisch wirkt, behandelt man hier David Hockneys zartes Stilleben mit Swimmingpool „A Bigger Splash“ als musealisiertes Schmuckstück, während der Monitor für Thaters Video lieblos auf dem Fußboden abgestellt wurde. Und vor Chris Burdens Uniformen stehen Wächter, die den Besucher von den echten Colts fernhalten sollen. Der einzige Ort, an dem man sich ungestört mit den Arbeiten beschäftigen kann, ist eine Brücke im Obergeschoß, die zwei Seitenflügel verbindet. Dort hängen Dennis Hoppers aufmerksam beobachtete Schwarzweißfotos der L.A.-Künstler-Boheme aus den sechziger Jahren. Mißtrauisch schauen die Maler, Bildhauer und sonstigen Drop-Outs dem Hollywoodstar in die Kamera. Noch ist der Konkurrent vom anderen Ende der Kulturindustrie übermächtig. Aber das ist auch längst Geschichte. Harald Fricke
„Sunshine & Noir“. Bis 1.2. 1998, Kunstmuseum Wolfsburg. Katalog 49 DM
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