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„Den Kunden gefällt's“

Schaufensterdekoration bei Karstadt: Weihnachten in den Grenzen von 1937  ■ Von Heike Dierbach

Weihnachten – Zeit zum Plätzchenbacken, Sterne-Basteln, für Apfel, Nuß und Mandelkern. Zeit für Besinnung und Gefühle. Und da gerne für nostalgische. Dafür sind die Menschen jetzt besonders empfänglich. Die Kunden auch, dachte man sich wohl bei Karstadt an der Mönckebergstraße und setzte in diesem Jahr bei der Schaufensterdekoration auf die gute alte Zeit.

Einen „Blick in die Himmelswerkstatt“dürfen die PassantInnen werfen: der dicke Weihnachtsmann in seinem Schreibzimmer, in der Bastelstube und – im Studierzimmer. Dort hängt zwischen vollgestopften Bücherregalen eine große Schulkarte: Europa in den dreißiger Jahren. Hinter dem Rauschebart von Santa Claus gut zu erkennen erstreckt sich hellblau das „Großdeutsche Reich“bis ins heutige Polen hinein. Auch die „deutsch-sowjetischen Interessensgrenzen“im Osten und die spätere Aufteilung der Tschechoslowakei sind säuberlich eingezeichnet.

„Eine unmögliche Dekoration“, fand Gesine Draeger, geschichtsbewußte Bürgerin, und beschwerte sich beim Kaufhaus. Dort, erzählt sie, wurde ihr fachkundige Belehrung von der für die Schaufenster zuständigen Mitarbeiterin zuteil: In den 30er Jahren sei das „unter Bismarck“doch alles „noch gar nicht so schlimm“gewesen. Und die „eroberten“Gebiete in Frankreich, Rußland und Italien seien in der Karte auch nicht enthalten. Überhaupt gehe es bei der Schaufensterdekoration nicht um Geschichte, sondern um Nostalgie.

Auf Nachfrage der taz hamburg gab man sich gestern nicht so redselig: „Nachher schreiben Sie etwas über Neonazis, und dann werde ich falsch zitiert“, fürchtete Frau Weidemeier, Substitutin für die Schaufenster. Abteilungsleiter Zeuper ist erstaunt über die Vorwürfe: „Sie sind die einzige Schicht, die die Fenster so bewertet, den Kunden gefallen sie.“Warum es denn für die „Nostalgie“unbedingt eine Karte über die dreißiger Jahre sein mußte?

Etwas zerknirscht räumt Zeuper schließlich ein, „daß die Karte vielleicht nicht die richtige ist“. Eine andere habe man aber nicht bekommen können. Ob nicht die Journalistin eine für ihn hätte? Dann würde man die andere sofort abnehmen. Wie es scheint, muß nun auch beim Karstadt-Konzern streng gespart werden, und man ist für die Weihnachtsdekoration auf Spenden angewiesen.

Währenddessen sitzt der gutmütig grinsende Santa Claus weiter vor seiner Karte des „Großdeutschen Reichs“. Und in einem hat Abteilungsleiter Zeuper wohl leider recht: Nur wenigen KundInnen vergeht dabei offenbar die nostalgische Weihnachtsstimmung.

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