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St. Georg: Bei Verdacht Stubenarrest

■ GAL: Platzverweise rechtswidrig / Drogenbeauftragter Bossong soll gehen Von Silke Mertins

Wenn morgens die Frühschicht der Herren in und ohne Grün ihre erste Runde in St. Georg dreht und Platzverweise niederhageln läßt, können sich viele Junkies ihren Arztbesuch gleich abschminken. Selbst wenn sie im Viertel wohnen. Für die Dauer des Platzverweises – vier bis acht Stunden – kann das mutmaßliche Mitglied der Drogenszene nach Ansicht der Polizei auch zuhause bleiben: Stubenarrest. Diese Auswirkung des Hamburger „Handlungskonzepts für St. Georg“ und mehr hat die GAL in einer großen schriftlichen Anfrage an den Senat zusammengetragen.

Nicht nur das Ziel des drogenpolitischen Aktionismus stellt die GAL infrage – „Wohin soll nach Auffassung des Senats die Dealer- und Drogenszene ,getrieben' werden?“ –, sondern auch die Rechtmäßigkeit. Denn: „Nach den uns vorliegenden Informationen wurden gegen mindestens 600 Personen Platzverweise ausgesprochen“ und zur Durchsetzung auch „Ingewahrsamnahme angeordnet, obwohl diese Personen im Stadtteil St. Georg gemeldet sind oder dort Arzt, Drogeneinrichtungen und Apotheken aufsuchen wollten“, heißt es in der Anfrage.

Und das hält die GAL für „rechtswidrig“, weil das Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) „Stuben- und Hausarrest“ nicht vorsehe. Außerdem dürfen auch das grundgesetzlich garantierte Recht auf freie Arztwahl und die ärztliche Schweigepflicht nicht mißachtet werden. Auch wenn ein Polizist nachprüft, ob der Junkie, dem er gerne einen Platzverweis erteilen würde, tatsächlich zum Arzt geht, mache er sich „möglicherweise strafbar“.

In die Arrestzelle darf die Polizei nach Rechtsauffassung der GAL nur dann jemanden schicken, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt. Das bestätigte auch Jugendrichter Joachim Katz in einem Aktenvermerk; wegen einer Ingewahrsamnahme mit „fehlender Rechtsgrundlage“ hielt er den Hinweis „Verdacht auf Freiheitsberaubung im Amt“ für angebracht.

Auf den Platzverweisen – ein Formular in vier Sprachen nebst Gebietskarte – fehlten außerdem „Rechtsmittelbelehrungen“, so die GAL. Schließlich sei diese Art von Aufenthaltsverbot ein „rechtsmittelfähiger und somit anfechtbarer Verwaltungsvorgang“.

Auch mit dem Hamburger Drogenbeauftragten Horst Bossong rechnete die GAL ab. Weil er die umstrittenen Polizeieinsätze und die Vertreibungspolitik stütze und von den Junkies fordere, sich „sozialverträglich zu verhalten“, sieht die GAL Bossong nur noch als Verlautbarungsorgan der Innenbehörde. Bossong würde von der Drogenhilfe nicht mehr akzeptiert. Angesichts der „offenkundigen Überforderung“ müsse seine Qualifikation bezweifelt und Bossung „von seinen Aufgaben entbunden werden“.

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