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Als sie mit Rollschuhen ins Bett gingen

Leben in der Bundesliga (VIII): Wehmütig denkt man bei Rollhockey-Rekordmeister RESG Walsum an die großen internationalen Spiele in den 60er und 70er Jahren. Heute kann sich der Klub eine Europapokalteilnahme nicht mehr leisten  ■ Von Martin Plich

Duisburg (taz) – Wer davon träumt, einmal im Leben in der Bundesliga zu spielen, sollte Rollhockey spielen. Ganze 27 Vereine gibt es in der Republik. Das sind etwa 2.000 Aktive, der Großteil davon Jugendliche. Zwölf Vereine dürfen sich Bundesligist nennen. Hans-Werner Meier, Trainer des Erstligisten RESG Walsum und gleichzeitig Bundestrainer – quasi Vogts und Daum in einer Person – bringt die Situation auf den Punkt, wenn er sagt: „Jeder Spieler, der in unserer Liga aufhört, reißt eine große Lücke.“

Profis gibt es in dieser Sportart nur in den Ländern, die auch die EM und WM dominieren: Portugal, Spanien und Italien. In Deutschland – die Nationalmannschaft wurde zuletzt WM-Siebter in Wuppertal – gibt's keine Reichtümer anzuhäufen. Es gibt Spritgeld und ein kleines Handgeld, das von 300 bis 1.500 Mark im Monat reicht. Seinen Lebensunterhalt verdienen kann man damit nicht.

Höchst selten wird auch nur noch das Prinzip „Job gegen Vereinswechsel“ angewendet. Bei den punktgleich die Bundesligatabelle anführenden Spitzenteams Cronenberg und Weil kann das mal klappen, wenn ein Sponsor Freiräume hat. Walsum ist zwar Tabellendritter, aber da gibt es so etwas nicht. Im Duisburger Norden hat man nichts zu verschenken, am wenigsten Arbeitsplätze.

Lange hat der Deutsche Rollhockey-Bund (DRB) gehofft, daß sein Sport olympisch werde. 1992 durfte man ihn in Barcelona sogar demonstrieren. Dabei blieb es. Längst laufen die Inliner den Rollern den Rang ab. Das ist ein Markt, in dem auch Sponsoren Absatzchancen sehen. Wolfgang Weber (30), Kapitän der RESG Walsum, erzählt aus dem Alltag: „Im Kindergarten meiner Tochter sträuben sich die Kids, wenn sie Rollschuhe anziehen sollen. Alle wollen lieber Inline-Skater fahren.“

Früher war alles anders. Vor allem bei der RESG. Der deutsche Rekordmeister erlebte seine Hochzeit in den 60er und 70er Jahren. Da platzte die Sporthalle am Beckersloh aus allen Nähten, wenn die Spanier oder Portugiesen anrauschten und die Nationalhymnen übers Band liefen. Da konnte die RESG sogar mit den ganz Großen mithalten. Unvergessen bleibt das Ausscheiden gegen den großen FC Barcelona, das erst durch einen schiedsrichterlichen Münzwurf zustandekam. 1985 schaffte man sogar den Sprung ins Finale – nur Lissabon war nicht zu schlagen.

Heute nimmt die RESG nicht mehr an europäischen Wettbewerben teil, obwohl sie sich dafür qualifiziert hat. Zu teuer. Früher fuhren die Akteure mit einem Troß per Bus nach Katalanien oder in die Toskana, heute müßte da ein Flieger her. Kosten in Höhe von rund 10.000 Mark stünden Einnahmen von 5.000 gegenüber.

Das geht nicht, wenn der Fleischer oder Bäcker von nebenan mal einen Satz Trikots springen läßt oder eine Bandenwerbung. Mehr ist nicht. Diese Bundesliga findet nicht im Fernsehen statt, ist für finanzkräftige Werbetreibende demnach uninteressant. Früher drückten sich bei einem Fassungsvermögen von 750 auch schon mal 1.200 rein. Diese knisternde Atmosphäre ist längst verlorengegangen. Gegen Iserlohn am Samstag Fußball kennt jeder. Wie lebt es sich in anderen Bundesligen? Bisher erschienen: Judo (30. April), Faustball (27. Mai), Baseball (10. Juni), Mountainbike (2. September), Kegeln (14. Oktober), Squash (28. Oktober), Curling (18. November)

werden vielleicht hundert kommen – davon die meisten, weil sie immer da hingehen und mit dem Nachbarn ein Bierchen trinken wollen. Zum Spitzenspiel gegen Weil kamen immerhin 350 Zuschauer, davon 250 zahlende. Man verlor 1:2, hatte aber immerhin knapp 2.000 Mark in der schwindsüchtigen Kasse.

In Walsum scheint der Rollsport vererbbar zu sein. Da spielt der Sohn, der Enkel – oder der Nachbarsjunge. Mütter und Omas dienen auf der Tribüne als kreischendes Frühwarnsystem: „Paß auf, Junge!“ hallt es von den maroden Holzbänken.

Im jetzigen Team stehen mit Achtig und Hibbeln natürlich Söhne von alten RESG-Größen. Schade nur, wird immer gespottet, daß Trainer Hans-Werner Meier eine Tochter hat. Auch Meiers Vater war ein Großer im RESGTrikot. Der Onkel natürlich auch.

Mittlerweile werden Spieler aus benachbarten Vereinen oder sogar aus Holland geholt. Die anderen machen das ja auch. Trainer Meier sieht den Trend mit Wehmut: „Früher war alles anders. Da konnten wir mit den großen Nationen mithalten. Denn da sind wir noch mit Rollschuhen ins Bett gegangen. Da wurde Rollhockey gespielt, was das Zeug hielt. Auf Garagenhöfen und überall da, wo wir nicht von nachtschichtgeplagten Bergleuten verscheucht wurden.“

Heute setzt die muffige Halle den festgesetzten Rahmen. Die Erstliga-Cracks gehen zweimal in der Woche zum Training – nach der Arbeit. Mehr ist nicht drin. Freiwillig kann noch bei den Junioren mittrainiert werden. Immerhin. Die meisten nehmen das Angebot sogar wahr.

Symptomatisch ist da eine Geschichte aus dem letzten Jahr. Da gerieten nach dem Spiel gegen Düsseldorf der Vater eines RESG- Spielers und der Düsseldorfer Arian van Gerven aneinander. Eine Hallensperre für zwei Spiele war die Strafe. Doch die konnte nicht in die Tat umgesetzt werden, weil keine andere Halle gefunden wurde, wo Rollhockey gespielt werden kann. So wurde die Sperre in eine Geldstrafe umgewandelt. Die hat dann der Spielervater aus eigener Tasche beglichen.

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