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Unterm Strich

Das nennt man wohl Koinzidenz: „Über das Ja und das Nein“ heißt der Besinnungsaufsatz, in dem die jüngste Zeit die Rolle des Intellektuellen in der „Berliner Republik“ reflektiert, ja regelrecht durchleuchtet, und quasi zeitgleich erhält Günter Grass den Menschenrechtspreis der Humanistischen Union, den Fritz-Bauer- Preis. Der Bürgerrechtsverein wies am Mittwoch in Berlin unter anderem auf Grass' „umstrittene“ Rede auf den türkischen Schriftsteller Yașar Kemal bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels hin. Grass habe sich als Schriftsteller, vor allem aber als unermüdlicher Streiter für Bürgerrechte und Mahner vor Dummheit der Macht hervorgetan, der immer auch der Seite der... (wir blenden langsam aus).

Der „deutsche Kultregisseur“ (dpa) Wim Wenders will als nächstes einen Liebesfilm drehen. Bei der Eröffnung einer ihm gewidmeten Fotoaustellung im norditalienischen Parma meinte Wenders am Mittwoch, er werde lange Zeit keinen Film mehr drehen, der etwas mit Kino zu tun habe. Beim Wort, Wim?

Der dpa-Meldung mit der Rubrifizierung „Kunst/Kriminalität/Österreich“ entnehmen wir, daß der „international bekannte österreichische Aktionskünstler“ Otto Mühl, Begründer der sogenannten Aktionsanalyse, der wegen sexuellen Mißbrauchs Unmündiger und Drogenkonsums sechseinhalb Jahre im Gefängnis saß, am Mittwoch in Wien aus der Haft entlassen wurde. Der 72jährige war 1970 Gründer der Kommune Friedrichshof südlich von Wien mit zeitweise über 100 Mitgliedern, in der unter seinen Oberguruat u.a. der Sex aus seinen bürgerlichen Zwängen befreit werden sollte. Mühl hat auf sein künstlerisches Werk aus dieser Zeit bis zu seiner Verurteilung 1991 keinen Zugriff mehr. Die Erlöse aus seinen Werken und die Anteile an der Kommune wurden nach Zeitungsberichten für seine elf Kinder von ver-

schiedenen Frauen und zum Unterhalt seiner Gattin Claudia aufgebraucht. Der Künstler, der in der Haft zahlreiche neue Arbeiten fertiggestellt hatte, wird an der Algarve in Portugal leben.

„The Capeman“, das Musical von Paul Simon, an dem er über 10 Jahre gearbeitet haben will, wird statt wie geplant am 8. erst am am 29. Januar seine offizielle Premiere haben. Die New York Times berichtete am Mittwoch, damit solle nach Darstellung der Produzenten mehr Zeit für Proben gewonnen und „neues Material“ eingebaut werden. Hinter den Kulissen werde „fieberhaft gearbeitet“. Die Previews laufen bereits seit dem 1. Dezember, der Soundtrack ist bei den Warner Brüdern als CD erschienen, allein: Positive Stimmen sind bislang die Ausnahme. Verschobene Premieren-Termine sind am Broadway normalerweise ein Indiz dafür, daß es Probleme mit neuen Stücken gibt. Simon, der seit sechs Jahren kein neues Material veröffentlich hat, hat die Story des „Capeman“ – mit Unterstützung von Nobelpreisträger Derek Walcott – nach der Lebensgeschichte des Puertoricaners Salvador Agron geschrieben, der 1959 als 16jähriger in New York als Mitglied einer Gang wegen Mordes an zwei Teenagern festgenommen und zum Tode verurteilt wurde, im Gefängnis aber sich bildete, Buße tat und umkehrte. Eine Art Saulus-Paulus-Geschichte aus Hell's Kitchen, dem berüchtigsten Viertel New Yorks nach der South Bronx.

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