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Verlust des Authentischen und so

Willie, der Außerirdische, kann Tote zum Leben erwecken: In der Volksbühne hat Jürgen Kruse einen sog. Space Western inszeniert, „The Unseen Hand“, ein Frühwerk des Schauspielers und Autoren Sam Shephard  ■ Von Petra Kohse

Der Zuschauerraum der Volksbühne ist dunkel. Das paßt, denn auch draußen in der Welt ist es dunkel und drinnen auf der Bühne erst recht. Jürgen Kruse ist offenbar ein Mann des Realismus und der Harmonie. Allerdings wird im Zuschauerraum der Volksbühne – als wäre die schiere Vorweihnachtszeit nicht schon regressionsfördernd genug – auch beim Einlaß kein Licht gemacht. Weswegen sich die Leute unsicher kichernd zu ihren Plätzen vortasten und, wenn sie sitzen, enthemmt zu flüstern beginnen.

Jürgen Kruse offenbar ist auch ein Mann des Pennälerwitzes, was heißt: des gestörten Verhältnisses zu eigenen Wünschen. Man weiß also gleich: Es wird nicht das sein, was es sein will, aber auch nicht wirklich etwas anderes. Es wird albern sein, aber freudlos. Und das ist es denn auch, auch wenn so viel Rock 'n' Roll bemüht wird, daß man sich schon schämt.

Jürgen Kruse hat „The Unseen Hand“ inszeniert, „Die unsichtbare Hand“ von Sam Shephard. Und das nicht zum ersten Mal. Schon 1987 brachte der ehemalige Assistent von Peter Stein und jetzige Hausregisseur in Bochum dieses Stück an der Schaubühne heraus, 1992 hatte er in Freiburg damit Premiere und jetzt in der Volksbühne.

1969 uraufgeführt, handelt es sich um ein Frühwerk des 54jährigen Schauspielers und Autors Shephard und später war ihm dieses, wie im Programmheft zitiert wird, im ganzen ein bißchen peinlich. Nun ja: „The Unseen Hand“ gehört zur Gattung des Space Westerns. Alien meets Cowboy am Highway, Entfremdungsmotiv, Verlust des Authentischen und so.

Immerhin hat der Bühnenbildner Stefan Mayer einen wunderschönen Rundhorizont aufgezogen, auf dem Wolken ziehen und es Nacht wird und Tag. Davor steht – in einem Feld aus zertrampelten Coca-Cola-Dosen (obwohl später Pepsi getrunken wird), Splittern zertrümmerter Akustikgitarren und sonstigem Rock'n'Roll-Müll – ein Chevrolet 51. Wir sind in der Nähe von Los Angeles neben dem Highway 66, und im Chev wohnt ein Cowboy, dessen bessere Zeiten 100 Jahre her sind.

Herbert Fritsch spielt diesen Cowboy Blue Morphin, und er tut das, wie er es immer tut: zitternd, mit irr blitzendem Auge und hoher, bayerisch vibrierender Stimme. Auch wenn Blue Morphan die erste halbe Stunde als eine Art Catweazel der Steppe mit Zottelbart und Schmuddelmantel umhertorkelt – es hat Charisma, irgendwie.

Dann kommt Silvia Rieger mit Glatze und in Gummistiefeln als Alien Willie auf die Bühne, und alles geht bergab. Die Geschichte möchte man nicht wirklich erzählen, nur soviel: Willie braucht Hilfe für seinen Planeten und kann Tote zum Leben erwecken. Rieger fuchtelt läppisch mit den Armen und gackert blechern wie ein verendendes Huhn. Es treten Blue Morphins Brüder von dunnemals auf, sowie ein Bürschchen aus der örtlichen High School auf der Flucht vor prügelnden Klassenkameraden. Peter Rene Lüdicke und Gerd Preusche sowie Matthias Matschke. Lost Revoluzzertum versus All-American-Durchschnittlichkeit.

Als Matschke (in runtergerutschten Hosen und mit heraushängendem Stoffpimmel) von den Outcasts bedroht wird, flippt er rum wie ein Gummiball und quasselt um sein Leben. Das ist nicht schlecht, aber auch nicht gut, und man fragt sich die ganze Zeit, warum. Bis der Blick auf Herbert Fritsch fällt, der am Bühnenrand steht und selig in einen Scheinwerfer grinst. Da wird der Unterschied klar: Matschke, der hier – was okay ist – Fritsch kopiert, will gefallen, während es Fritsch reicht, wenn er sich selbst gefällt. Das immerhin ist interessant.

Der Rest vergeht in Zeitlupe, aber irgendwann ist dann doch alles zu Ende: Ein Stück, von dem man nicht ahnt, warum Kruse so daran gelegen ist, und eine Inszenierung, die kraftlos und halbherzig als Westernparodie dahinschwindet, und doch am Anfang und am Ende treuherzig Neil Young spielt: „It's better to burn out than to fade away.“

Vielleicht sollte in der Volksbühne an diesem Abend etwas gezeigt werden. Es bleibt aber bei der Geste. Etwas albern und ziemlich freudlos. Pennälerhaft eben.

„The Unseen Hand“, nächste Vorstellungen am 20., 27. sowie am 30. Dezember, Beginn jeweils 19.30 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

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