: Bremer Gaben für Kurzentschlossene
■ In letzter Minute serviert: Hör- und Seherlebnisse aus heimischer Produktion
Wem für liebe FreundInnen als Weihnachtsgeschenk immer noch nichts eingefallen ist, kann sich getrost auf bremische Lese- und Hörproduktionen besinnen. Ob Kammerphilharmonie oder Bremisches Staatsorchester, ob Domchor oder die Kantorei St. Ansgarii, ob das Ensemble Weser-Renaissance oder die freie Szene: Das Angebot in klassischer Musik ist groß, und die Qualität, die sich durchaus mit internationalen Maßstäben messen kann, macht die Wahl zur Qual. In einem Last-Minute-Service stellt die taz einige Neuerscheinungen vor.
Absolutes historisches Neuland kann mit Hannelore Cyrus' „Frei geboren! 1000 Jahre Bremer Frauengeschichte“betreten werden (356 Seiten, Verlag in der Sonnenstraße, Bremen, ISBN 3-926768-03-7; 42 Mark). Mit großer Sorgfalt und einer unglaublichen Fülle von Fakten schlägt die Bremer Historikerin einen gut lesbaren Bogen von 805, als Bremen Bischofssitz wurde, und 1303, als das bremische Stadtrecht kodifiziert wurde, über das Zeitalter der Hexen und Hebammen, die Folgen der Aufklärung bis zur Gegenwart. Am Beispiel bremischer Frauengeschichte wird einmal mehr deutlich, wie groß das Mißverhältnis zwischen dem tatsächlichen Wirken und der Bedeutung der Frauen in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft und dessen (nicht vorhandener) Dokumentation ist.
Die Bremer Autorin Irmela Körner hat sich einem originellen Thema zugewandt: „Witwen. Biographien und Lebensentwürfe“(Patmos Verlag, Düsseldorf, 294 Seiten, ISBN 3-491-72372-8). In lockerer Form, in einer ausgewogenen Mischung aus vorhandenen Fakten und notwendigen Fiktionen zeichnet sie sensibel zwanzig Lebensbilder von berühmten und nicht berühmten Frauen nach, von alten und jungen, von unabhängigen und abhängigen, – Bilder, die erst nach dem Tod der jeweiligen Männer entworfen werden: Zu Wort kommen z.B. die Schriftstellerin Christine de Pizan aus dem 14. Jahrhundert, Clara Schumann, Nuria Schönberg-Nono, Edith Flusser und Jenka Sperber.
Mit Recht den Preis der belgischen Schallplattenkritik eingeheimst hat Manfred Cordes von der Hochschule für Künste, der mit seinem Ensemble „Weser-Renaissance“eine beispielhafte, ebenso historisch korrekte wie sinnlich aufregende Aufnahme der 40 Motetten der „Cantiones Sacrae“(1625) von Heinrich Schütz vorgelegt hat (CPO 999 405-2). Wer Freude an alter Musik hat, wird auch die Psalmmotetten von Johann Theile (1646-1724) als Perlen entdecken können: Die Sammlung aus der Staatsbibliothek Berlin zeigt in dieser Interpretation einmal mehr, wieviel gute, unbekannte Musik noch in unseren Archiven schmort (CPO 999 498-2).
Brandneu aus der Kantorei St. Ansgarii zu deren vierzigjährigem Bestehen kommt Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium „Elias“in einem durch und durch überzeugenden interpretatorischen Wurf durch Wolfgang Mielke, der mit den Brandenburger Symphonikern aufregende Pole zwischen verinnerlichter Lyrik und hochdramatischen äußerem Geschehen schafft. Zu beziehen durch die Kantorei St. Ansgarii (39 Mark).
Der Bremer Generalmusikdirektor Günter Neuhold hat das Philharmonische Staatsorchester CD-fähig gemacht, wie der virtuose Orchesterschwung der „ungarischen“CD beweist: Zoltán Kodálys „Tänze aus Galánta“und seine „Háry János Suite“sowie Franz Schrekers Bravourinstrumentation „Ungarische Rhapsodie von Franz Liszt“bereiten ungetrübte Hörfreuden (BM-CD 31. 9084, Edition Antes; 39,90 Mark).
Domkantor Wolfgang Helbich, der sich schon mehrfach erfolgreich für vergessenes Repertoire eingesetzt hat, legt mit dem Alsfelder Vokalensemble und dem Barockorchester Bremen jene anonyme Vertonung der „apokryphen Lukas-Passion“vor, von der es ein Teilmanuskript von Johann Sebastian Bach gibt, was zunächst einmal zu der Vermutung Anlaß gab, Bach selbst sei der Autor gewesen. Eine spannungsvoll musizierte musikhistorische Rarität (CPO 999 293-2).
Auch rhythmischen Spaß gibt's aus Bremen – und zwar von der Bremer Pianistin Emma Schmidt, die mit Scott Joplin, George Ger-shwin u.a. eine pfiffige und blitzsauber gespielte CD unter dem Titel „Syncopated Lady“vorlegt (BM 31.2180; 19,90 Mark).
Ute Schalz-Laurenze
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen