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Die große Schlagzeile fällt aus

Nach unglücklichem 2:3 gegen Bayern München und Rummel um Nerlingers Wechsel fühlen sich die Wolfsburger trotz positiver Jahresbilanz wie „Idioten“  ■ Aus Wolfsburg Andreas Pahlmann

Da können sich die Wolfburger noch soviel Mühe geben, da können sie in der Bundesliga soviel Furore machen, wie sie wollen, da können sie den großen Bayern einen noch so großen Fight bieten: Die schlagzeilenträchtigen Big Points machen die anderen.

Den ersten machte Sammy Kuffour, der das entscheidende Tor schoß und Bayern Münchens 3:2-Sieg sicherte. Den zweiten machte Manager Uli Hoeneß, der nach Spielschluß fast beiläufig verkündete, daß sein Angestellter Christian Nerlinger mit Borussia Dortmund einen neuen Arbeitgeber gefunden hat und damit die Journalistenschar im herausgeputzten VfL-Stadion dazu brachte, wie auf Kommando das Funktelefonnetz rund um die VW-Stadt gemeinsam kurzfristig auszulasten. Ach ja, das Spiel war übrigens ziemlich gut – so nebenbei.

Ein richtiges Weihnachtsmärchen hätte es werden können. Böse Bayern-Buben gegen gute Wölfe. Die Bösen erzielten in der ersten halben Stunde zwei Treffer (Scholl, Jancker) und schalteten dann auf ihre Standard-Spielweise um. Ruhig, abgeklärt und lässig wollten sie die Partie über die Runden bringen. Doch dann schoß Wolfsburgs begnadeter Spielmacher Claudio Reyna ein Tor, Detlev Dammeier legte kurz nach der Pause eines nach, und die Guten waren drauf und dran, einen der ihren zum strahlenden Helden zu machen. Dragan Stevanovic etwa, der früher als geplant von einer Oberschenkelverletzung genesen war und mit seinem Drehschuß ebenso an Oliver Kahn scheiterte wie kurz darauf Reyna.

So gewannen die Bayern ein Spiel, in dem sie eigentlich höchstens einen Punkt verdient gehabt hätten. Das aber liefert keinen Stoff für Märchen oder Aufmacher. Und der Präger hat diesmal auch nicht getroffen. Dann lieber Nerlinger, das ist spannender. Hoeneß sagte, wie er das findet („Es macht mich sehr traurig“), Lothar Matthäus sagte, wie er das findet („An seiner Stelle wäre ich ins Ausland gegangen), und Oliver Kahn („Was, ehrlich, Nerlinger geht?!“) sagte auch was.

Die in den grünen Hemden durften vergleichsweise ungestört duschen gehen. Einer der Ober- Bösen versäumte unterdessen nicht, noch mal zu zeigen, warum die Bayern ganz besonders gerne gehaßt werden. „Dafür haben wir Oliver im Tor, und dafür wird er ja auch sehr gut bezahlt“, kommentierte Manager Hoeneß in gewohnt schnöseliger Art die Top- Leistung von Torwart Kahn.

Es ist schon tragisch: Sieben Tore hat der VfL Wolfsburg in dieser Saison gegen Kahn geschossen, genützt hat es nichts. Erst das böse 2:5 in München , dann das 3:3 im Pokal mit anschließendem Aus im Elfmeterschießen, jetzt das 2:3. „Wir sind jedesmal die Idioten gegen Bayern“, schimpfte VfL-Kapitän Jens Keller, während die Sieger viel Lob für die Verlierer übrig hatten. „Im Hinspiel hab' ich gedacht, die sind nicht mal zweitligareif, doch diese Mannschaft hat sich um 180 Grad gewandelt“, meinte Giovane Elber, der als einziges Glätte- Opfer mit einer Steißbeinprellung vor der Pause raus mußte.

Matthäus befand: „Diese Mannschaft wird mit dem Abstieg nichts zu tun haben, dafür steckt zuviel Potential drin.“ Wem noch nicht klar war, warum sich Keller und Co. als Idioten fühlten, der weiß es jetzt. Denn Lob nach Niederlagen tut weh. Den Wolfsburgern bleibt die Gewißheit, daß sie in der Bundesliga bisher mehr geleistet haben, als ihnen die meisten zugetraut hatten. Siege gegen Stuttgart, gegen Kaiserslautern, in Gladbach und in Hamburg stehen als Höhepunkte auf der Habenseite, ein Platz (8) in der oberen Tabellenhälfte auch. Dabei hatten die alten Bundesliga-Eintagsfliegen von Tasmania Berlin zu Saisonbeginn noch gehofft, ihr Negativrekord 1965/66 (nur zwei Siege in 34 Spielen) könnten dank des VfL ins Wanken geraten. Pustekuchen.

Einer, der am Erfolg ordentlich mitgebaut hat, ist Willi Reimann. Der Trainer pokert jetzt mit dem VfL um mehr Geld in seinem neuen Vertrag. Als erfahrener Bundesliga-Profi weiß er, wie das geht. „Schockierend“ sei die jüngste Verhandlungsrunde mit dem Verein gewesen, hatte er vor dem Spiel mitgeteilt und schon mal zur Nachfolgersuche aufgefordert. „Damit die Herren mal sehen, was in der Bundesliga so läuft.“ Dazu kündigte er an, über die Konditionen (statt 450.000 Mark soll er 800.000 im Jahr haben wollen) nicht mehr zu verhandeln und andere Angebote zu sondieren. Viele markige Sätze, viel Schlagzeilenstoff. Doch darüber wurde nach dem Bayern-Spiel kaum geredet. Denn Nerlinger geht nach Dortmund. Und das Spiel war ziemlich gut. Und die Bayern verteilten Komplimente. Das reicht ja auch.

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