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Weihnachten, westfälisch

Weil wir aus unserer katholischen Heimatstadt im Ostwestfälischen zwar geflüchtet, aber dennoch ursprungsgläubige Kinder geblieben und deshalb Weihnachten immer bei unseren Eltern sind, stehen meine Geschwister und ich jedes Jahr am Heiligabend vor derselben Frage: In die Akka oder nicht?

Wir sind noch immer gegangen. In der Akka, unserer Schulstammkneipe, treffen sich jedes Jahr nach Gans und Bescherung alle Ex-GymnasiastInnen zu rührseligen Wiedersehensshows. Keiner weiß, warum wir das machen, denn in Wirklichkeit mögen wir uns lange nicht mehr. Der Anblick meines Oberstufen-Schwarms Guido mit adrettem Polokrägelchen (weiß) unterm frisch geschenkten Jockey-Pulli (weinrot) und jahrelanger Freundin (dauergewellt) ist kaum zu ertragen, und die anderen Jungs mit ihren Mittzwanziger-Plautzen in Button-down-Hemden sind auch kein Trost. Zumal alle ihr Studium schon fertig haben.

Vorigen Heiligabend ging das Idyll kaputt. „Starke Frauen sind emanzipiert, ohne von Emanzipation zu reden“, dozierte Guido und sah mich scharf an. „Starke Frauen sind emanzipiert und tragen Pömps. Die Button-down-Plautzen nickten. Und diesem Mann hatte ich Jahre meines Lebens gewidmet! Hatte ihn in Argumentation und Vokabular des anti-patriarchalischen Kampfes eingeweiht!

Alles war vernichtet, mein selbstgenügsames Alleblödfinden, auch der letzte Gruselzauber des Akka-Heiligabends. Guido fand mich auch blöd! Alle fanden mich blöd! Ob dieser Erkenntnisse zu keiner Antwort fähig, zwängte ich mich zum Tresen und bestellte ein paar Pils auf Guidos Kosten. Seine Jacke, einen Aschenbecher in ihren Taschen zu entleeren, fand ich nicht. Weinend fuhr ich heim und brach mit der Welt meiner Jugend.

„Akka?“fragte mein Bruder mich in diesem Jahr bereits am ersten Advent etwas besorgt. Natürlich. Sonst verpasse ich noch Guidos neuen Pulli. uwi

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