: Heiliger Vater
Meine beste Freundin meinte es nur gut, als sie mich am Heiligabend, rund eine Stunde vor der avisierten Eröffnung unserer Familienzeremonie, anrief, um mir ihre Solidarität für den Abend zu bekunden und mich mit der detailgetreuen Beschreibung ihres aktuellen Schwarmes zu erheitern. Doch kaum war das erste aufgeregte Teeniegekicher durch die Leitung gezwitschert, als das Unwetter in Form meines Vaters heraufzog. Mit der eisigen Miene, die er sonst nur an den Tagen des Jahres trägt, an denen gerade kein Heiligabend ist, stürmte er in die Küche. Riß demonstrativ den Korken von der Sektflasche, die wir eine Stunde später trinken wollten, und herrschte mich an, sofort aufzulegen. Schließlich sei Weihnachten.
Was nun das eine mit dem anderen zu tun haben sollte, wußte ich nicht und telefonierte weiter. Unbekümmert, wie nur 16jährige es sein können, die keine Ahnung haben, daß die größte Niederlage ihres jugendlich-emanzipatorischen Aufbegehrens bevorsteht. Erneut polterte er herein, um mir kommentarlos den Hörer aus der Hand zu reißen, auf die Gabel zu werfen und zu brüllen: „Es ist Heiligabend!“
Ich rannte in mein Zimmer, wild entschlossen, es bis zum Ablauf des zweiten Weihnachtstages nicht mehr zu verlassen. Doch dann kam meine Mutter. Flehend. „Nur mir zuliebe“sollte ich wieder runterkommen; und würde ich nicht, wäre nicht mein herrischer Vater, sondern ich am geplatzten Weihnachtsabend schuld. Ob der sicheren Gewißheit, daß mir das noch monatelang vorgehalten werden würde, ließ ich mich breitschlagen. Nur ihr zuliebe.
Fünf Minuten später war ich also wieder unten. Im Trainingsanzug. Aus Protest. Das kam genau so an, wie es gedacht war. Um es kurz zu machen: Ich kleidete mich umgehend festlicher. Der Preis wäre einfach zu hoch gewesen, und wer das Gesicht meines Vaters gesehen und seine Worte gehört hätte, der würde das verstehen. Roberta Zorn
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