: Im Zeichen des Raubkapitalismus
Hallo, Untergang des Fußballs, zweiter Teil. Die Umwandlung braver Fußballvereine in mehr oder minder florierende Unternehmen der Freizeitindustrie lockt vor allem eine Spezies an: den gemeinen Profitgeier ■ Von Matti Lieske
Alles begann mit Berlusconi und seinen drei Holländern. Bis der umtriebige Medienunternehmer die Bühne des italienischen Fußballs betrat, hatten die Fußballklubs der Serie A als Spielzeug und willkommene Abwechslung für – oft zwielichtige – reiche Männer gedient. Die Agnelli-Familie konnte mit dem vielfachen Meister Juventus Turin zwar ein wenig ihr in Arbeiterkreisen nicht gerade makelloses Image aufpolieren, doch blieb Juve für die Fiat- Bosse stets nicht viel mehr als ein kostspieliges Hobby. Die Pellegrinis, Cecchi Goris, Ferlainos und wie sie alle hießen benutzten ihre Vereine vorzugsweise zur Befriedigung persönlicher Eitelkeiten. Gianni Rivera wiederum – ehemaliger Ballzauberer und als Politiker so konservativ, daß er sogar ein Rolling-Stones-Konzert in Mailand verbieten lassen wollte – hatte als Vizepräsident den Niedergang des AC Mailand ebensowenig aufhalten können wie den seiner christdemokratischen Partei.
Silvio Berlusconi hingegen machte das marode Unternehmen Milan nicht nur binnen weniger Jahre zur führenden Vereinsmannschaft der Welt, sondern demonstrierte eindrucksvoll, wie man einen Fußballklub dazu benutzen kann, ein florierendes Firmenimperium aufzubauen und eine politische Karriere zu begründen, die schließlich sogar ins Ministerpräsidentenamt führte. Zum ersten Mal war auf europäischer Ebene ein Vereinspräsident aufgetaucht, der im Fußball nicht eine Möglichkeit sah, sein erworbenes Vermögen zu verpulvern, sondern seinen Klub als Unternehmen betrachtete, dessen Aufgabe es war, nach Kräften zur Vermehrung des betreffenden Vermögens beizutragen. Konsequent setzte Berlusconi den AC Mailand zum Ausbau seines Geflechts von Fernsehsendern, Zeitungsverlagen und anderen Geschäftszweigen ein.
In Deutschland hatte es rund zwanzig Jahre vorher eine kleinere und wesentlich provinziellere Ausgabe des Milan-Potentaten gegeben: den vor einigen Wochen in den Zwangsruhestand versetzten Wolfenbütteler Likörfabrikanten Günther Mast, Pionier der Banden- und Trikotwerbung, der zwar mit seinem Vorhaben scheiterte, Eintracht Braunschweig in „Jägermeister“ umzubenennen, aber über den Fußball dennoch gewaltige Publicity-Effekte für sein hochprozentiges Produkt erzielte. Heute läßt sich sagen, daß Mast, der aus seiner Abneigung gegen den Fußball nie ein Geheimnis machte und selten auf der Tribüne des Eintracht-Stadions zu finden war, seiner Zeit weit voraus war. Er praktizierte einsam, was bald zur Regel werden dürfte: die rigorose Ausnutzung des Fußballs zum Zwecke der Profitmaximierung. Die Ära der populistischen Teppichhändler und Sonnenkönige, der Lörings und Weiseners, die mit Herz und Geldbeutel ihrem Verein ewig treu zur Seite stehen, neigt sich zügig dem Ende zu. Statt dessen hält die unsentimentale Geschäftsideologie der amerikanischen Profiligen, wo es ausschließlich um Profit, Show und noch mal Profit geht, in Europa ihren Einzug, trifft hier allerdings auf völlig andere Bedingungen.
Zunächst muß der hiesige Fußball auf Traditionen und gewachsene Strukturen Rücksicht nehmen, die es in den USA in ähnlicher Weise allenfalls im Baseball gibt. Selbst Berlusconi geriert sich, im Unterschied zu Günther Mast, als Fan seines Teams und bildet so eine Art Zwitterwesen aus althergebrachtem Mäzenatentum und dem Typus des kühl kalkulierenden Tycoons, für den sportlicher Erfolg nur wichtig ist, weil er Geld bringt. In Deutschland spielt Dortmunds Gerd Niebaum eine ähnliche Rolle, während das Bayern- Management, trotz seiner Fußballikone Beckenbauer, schon die modernere Variante darstellt.
Viel schwerwiegender sind jedoch die juristischen Probleme. In den USA bewegen sich die Profisportarten in einem einheitlichen Rechtssystem und sind in wohlgeordneten Ligen mit starker Führung organisiert. Konflikte werden zentral diskutiert und geregelt, die Klubbesitzer können nicht schalten und walten, wie sie wollen, sondern werden durch das Ganze, sprich: die anderen Klubbesitzer, den Commissioner und partiell durch die Spielergewerkschaften kontrolliert und diszipliniert. Ein sorgfältig ausbalanciertes Machtgefüge, das im Idealfall reibungsloses Geldscheffeln aller Beteiligten gewährleistet.
Der europäische Fußball hingegen ist in einzelne Ligen zersplittert, die in völlig unterschiedlichen juristischen Umgebungen angesiedelt sind. Der Dachverband Uefa ist schwach und hat kaum Möglichkeiten zu Interventionen, geschweige denn Sanktionen, was den Geschäftsbereich der Vereine betrifft. Diese sind als Aktiengesellschaften, wie etwa in England und Spanien, als Privatbesitz einzelner Familien oder Individuen, wie in Italien, oder noch als traditionelle Vereine, wie in Deutschland, organisiert. Hilflos muß die Uefa zusehen, wie sich Medienunternehmen Traditionsklubs unter den Nagel reißen und diese dann exklusiv ihren Tochtergesellschaften zur Verfügung stellen – etwa im Falle von Paris St. Germain und Canal+. Oder wie Großinvestoren, bar jeden sportlichen Interesses am Fußball, „mit Fußballvereinen handeln wie mit Schweinebäuchen“ (Der Spiegel).
Der Engländer Joe Lewis zum Beispiel kauft Anteile von Klubs in diversen europäischen Ländern von den Glasgow Rangers über AC Vicenza und Sparta Prag bis zu AEK Athen, was zu interessanten Spekulationen Anlaß gibt, wenn seine Vereine gegeneinander spielen. Ähnlich liegt der Fall des Londoner Klubs Arsenal, der Anteile am französischen Verein AS Cannes erwerben und dafür künftig billig Spieler beziehen will. Rupert Murdoch, der den Briten das Satelliten-TV brachte, kaufte in Australien die gesamte Rugby- Liga. Der Sultan von Brunei, einer der reichsten Männer der Welt, wurde jüngst mit dem FC Everton in Verbindung gebracht, was seine PR-Agentur heftig dementierte. Und die Geschäfte von Harrod's- Besitzer Muhammad Al-Fayed, Ex-Vater von Ex-Dodi, laufen sicher noch besser, wenn in zwei oder drei Jahren sein neues Investitionsobjekt FC Fulham mit Manager Kevin Keegan um die englische Meisterschaft mitspielt. Und wenn es mit Fulham nicht klappt, kann er es immer noch mit Watford, Queens, dem FC Huddersfield oder Extremadura Almendralejo probieren. Oder dem Berliner FC Union, der bereits einen Bettelbrief an den ägyptischen Magnaten losgesandt hat. Für multinationale Unternehmen stellt der Fußball ein exquisites und relativ billiges Vehikel dar, um sich und ihre Produkte auf interessanten Märkten bekannt zu machen. Wenn sich der Effekt erschöpft hat, hindert sie nichts daran, weiterzuziehen. Auf der Strecke bleiben, unter Umständen, ruinierte Fußballvereine.
Wenn der Dachverband Uefa nicht komplett den Anschluß verlieren will, ist es höchste Zeit, mit dem Lamentieren aufzuhören, sich mit den Juristen der Europäischen Union zusammenzusetzen und neue, rechtlich einwandfreie Konzepte zur Kontrolle des in die Phase des Raubkapitalismus eingetretenen Fußballs zu erarbeiten. Handlungsbedarf besteht vor allem im Bereich von Besitzstrukturen, Vermarktung und dem wild ins Kraut schießenden Transferwesen mit seinen absurden Vertragsklauseln und horrenden Handgeldern. Daß diese Probleme kaum mit Spitzenfunktionären zu lösen sind, deren einziges Bestreben es ist, die Uhr zurückzudrehen, und die lieber Gesetze als veraltete Strukturen ändern wollen, dürfte klar sein. Die Ära der Johanssons und Brauns neigt sich rapide dem Ende zu, gefragt sind Leute, die flexibel auf neue Konstellationen reagieren können.
Wenn die rechtlichen Voraussetzungen zur Umwandlung von Vereinen in reine Geschäftsunternehmen geschaffen sind, wie bald auch in Deutschland, fällt es vor allem kleineren Vereinen noch schwerer, sich des Zugriffs von Finanziers, die auf den schnellen Profit schielen, zu erwehren. Gefeit gegen solche Übernahmen sind allenfalls die reichen Klubs, die selbst in der Lage sind, über Merchandising, eigene Fernsehprogramme und Vermarktung von TV-Rechten, unter anderem natürlich Pay-TV und Pay-per-View, genügend Gewinne zu machen. Diese können als „moderne Unterhaltungskonzerne“ (Jürgen Möllemann) auf eigene Faust bestehen und auch in anderen Branchen investieren. Der FC Chelsea besitzt schon ein eigenes Hotel sowie eine Reisegesellschaft, und daß Restaurantketten mit dem Namen „ManUnited Café“ oder Fluglinien wie „Barça Airlines“ prächtig laufen würden, steht außer Frage. Die Sache hat allerdings ihre Tücken. Was in Chelsea Erfolg hat, muß in Leverkusen, wo ebenfalls ein Hotel im Haberland- Stadion angesiedelt werden soll, nicht zwangsläufig funktionieren. „Es bleibt abzuwarten“, bemerkt der Korrespondent der Agentur Reuters süffisant, „ob Leute ihre Ferien in Leverkusen verbringen möchten.“ Und ob sich derzeit jemand in ein Flugzeug setzen würde, das den Namen des Hamburger SV trägt, darf bezweifelt werden – von Manchester United ganz zu schweigen.
In Deutschland sind es Borussia Dortmund, Bayern München und wohl auch Zufalls-Uefa-Cup-Sieger Schalke 04 mit seiner Kirch- Connection und den Bauplänen für eine neue Superarena, die auf unternehmerischer Ebene im europäischen Maßstab mithalten können. Die Nase vorn haben – trotz des Dortmunder Mega-Store mit angeschlossener „Hall of Fame“ – wieder einmal die Bayern. Ihr Jahresumsatz betrug zuletzt rund 165 Millionen Mark, eine solide ökonomische Basis, auf welcher sich der völlig vernünftige Plan eines eigenen Stadions gut verwirklichen läßt. Wer den Fußball als Teil der Freizeitindustrie betreiben möchte, kann unmöglich in einem Stadion auftreten, wo die Spieler von den billigen Plätzen ungefähr in Ameisengröße zu sehen sind. Daß die Idee eines grandiosen Hauptstadtklubs schon allein an der Frage der Arena scheitern muß, leuchtet jedem ein, der einmal in überfüllten, schneckenhaft sich fortbewegenden U-Bahn- Zügen ins zugige Berliner Olympiastadion gefahren ist, um dort weitab vom Spielfeld auf unbequemen Bänken zu sitzen, umgeben von einer repräsentativen Auswahl der größten Vollidioten, die jenseits des Hockenheim-Rings zu finden sind. Die Herausforderung bei der Errichtung neuer Fußballstadien ist, sie nicht zu reinen hypermodernen Luxustempeln mit fulminanten Eintrittspreisen auszubauen und damit jede Atmosphäre zu töten. Es kommt vielmehr darauf an, den Bedürfnissen der Fans, welche das traditionelle Bratwurst-, Bier- und Jetzt-geht's- los-Flair der alten Stehplatzblocks nicht missen wollen, ebenso Rechnung zu tragen wie den Ansprüchen jener, die einen bequemen Sitzplatz schätzen. Wenn dort hin und wieder ein Bier-, Hot-Dog- oder Eisverkäufer vorbeikommt, sich die An- und Abfahrt streßfrei gestaltet und nach dem Spiel noch Gelegenheit für einen Einkaufsbummel oder Restaurantbesuch geboten wird – um so besser.
Die Idee, durch Aktienverkauf schlagartig Hunderte von Millionen Mark in die Kassen zu bekommen, ist natürlich vor allem für die Erfolgsklubs verlockend. Auch sie müssen sich jedoch gut überlegen, wie verhindert werden kann, daß reiche, aber fußballunkundige Figuren zu viel Einfluß bekommen und die Karre in den Dreck fahren.
Ein Paradebeispiel für derlei Treiben war in der Bundesliga- Vorrunde in Berlin zu bewundern. Dort hatte die Bertelsmann-Tochter Ufa bei Hertha BSC das dicke Geschäft gewittert, besaß aber offensichtlich nicht das nötige Know- how, es auch zu realisieren. Naiv der Glaube, es könne funktionieren, eine Mannschaft zusammenzustellen, die gerade gut genug ist, mit mehr Ach als Krach den Aufstieg in die Bundesliga zu schaffen und diese dann binnen weniger Wochen mit einer paar Millioneneinkäufen der eher niedrigen Kategorie zur Spitzenmannschaft zu formen. Dilettantisch der Umgang mit den bestehenden Vereinsstrukturen, die eben noch nicht unumschränktes Schalten und Walten des jeweiligen Geldgebers ermöglichen. Logisch, daß man ehrenamtliche Vereinsfunktionäre mit ihren ausgeprägten Eitelkeiten nicht abkanzeln kann wie subalterne Angestellte, sondern sie wenigstens konsultieren muß, bevor man nach eigenem Gutdünken entscheidet. Sonst werden sie grantig und wiegeln ganz schnell Fans und Mitglieder gegen die geldstinkenden Usurpatoren auf. Genauso logisch, daß man nicht zu ungeduldig und knauserig sein darf, wenn man ein Topteam bilden will. Wer jedoch wie der ehemalige Hertha- Aufsichtsratsvorsitzende Schmidt- Holtz als eine Art minderbemittelter Berlusconi für minderbemittelte Hauptstädter daherkommt und den Aufbau einer erfolgreichen Fußballmannschaft betreibt wie die Produktion einer Soap Opera, muß sich nicht wundern, wenn er bald selbst Teil einer Seifenoper ist.
Einige unverhoffte Siege in Folge sorgten zumindest vorübergehend für neue Harmonie, und die versöhnliche Jahreshauptversammlung des Vereins zeigte, daß auch die Ufa und Schmidt-Holtz ihre Lektion gelernt haben. Trösten können sich die Berliner ohnehin damit, daß selbst der echte Berlusconi seit Jahren vergeblich versucht, die glorreichen Zeiten seines Klubs wieder aufleben zu lassen, und daß es auch die betuchten Bayern trotz aller Millionenmänner nicht schaffen, dauerhaft ansprechenden Fußball zu spielen. Vielleicht könnte ja ein Ortswechsel nach amerikanischem Modell die Lösung für beide Seiten sein. Baut das neue Stadion doch einfach in Berlin!
Teil 1 unserer Betrachtung des zeitgenössischen Fußballs erschien am Dienstag, dem 23.12.
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