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Die Müdigkeit des guten Onkels

■ Nach neun Jahren beendet Max Goldt seine Kolumnistentätigkeit bei „Titanic“ – vor kurzem erhielt er den Preis für groteske Literatur

„Nach 107 Texten soll nun Schluß mit der Kolumne sein“, schreibt Max Goldt in der aktuellen Titanic und spricht aus, was aufmerksamen Lesern schon seit geraumer Zeit aufgefallen war: „Ich habe das Interesse an ihr verloren.“ Seit längerem, hört man, habe Goldt aufhören wollen, sei aber von der Titanic-Redaktion immer wieder zum Weitermachen bekniet worden – schließlich gibt es nicht ganz wenige Leute, die das Frankfurter Satireheftchen ausschließlich Max Goldts Kolumne wegen lasen.

Max Goldts erste Titanic-Kolumne erschien 1989. Es war ein gutes Jahr für das Blatt. Gegen den Willen und Widerstand des damaligen Chefredakteurs Bernd Fritz brachte die Restredaktion ihren Wunschkolumnisten ins Heft: Max Goldt, dessen schnurrige Geschichten zuvor dem Fanzine Ich und mein Staubsauger Kultstatus verliehen hatten. Bernd Fritz, der Mann, der bei Gottschalk Bleistifte gelutscht hatte, dankte bald ab; heute betreut er die Konsumtip- und Lifestyle-Seiten im FAZ- Magazin, die dort allerdings „Boulevard“ heißen und auch tatsächlich direkt von Biolek stammen könnten.

Max Goldt aber kolumnierte zur Freude seiner rasch wachsenden Leserschaft, die entzückt war über den Mann, der sich anschickte, Deutschlands stattlichster Benimmlehrer zu werden. Und Goldt war ja auch klasse: Die damals noch schwer kulturhegemonialen Gratismoralkasper ließ er mit seinen charmanten, stilvollen und komischen Glossen so oll und langweilig aussehen, wie sie ja auch waren und sind. Und privat war der schüchterne Mann ebenfalls eine Wucht. Mit ihm konnte man sich über die interessantesten Themen ins Benehmen setzen, zum Beispiel darüber, wie angenehm es ist, nach der Selbstbefriedigung sein warmes Sperma auf dem Bauch zu verreiben. Über so was kann man sich mit verlogenen Arschgeigen wie Franz Alt bestimmt nicht unterhalten. (Im Verlauf einer gemeinsamen Lesereise, der „Super-Laser-Abspritz-Show“ 1991, entzweiten Goldt und ich uns nachhaltig, scharrde eigentlich.)

Max Goldt ist der stilbildendste deutschsprachige Autor der letzten Jahre; im Literaturbetrieb hat er sich einen eigenen Posten selbst erschaffen: den des schrulligen, existentiell leicht ermatteten Großonkels. Während seine zahllosen Epigonen noch weiter in seiner Spur trotteln, hat er jetzt seingelassen, was ihn nicht mehr interessiert. Bewunderer müssen trotzdem nicht auf ihn verzichten: Die Stimme, die Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens nächstens sanft ermahnt, doch bitte die Rundfunkgebühren zu entrichten, ist die Stimme von Max Goldt. Wiglaf Droste

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