„Ich bin ein Schalker“

Mit dem ersten deutsch-polnischen Schalke-Fanklub versucht Bernhard Wengerek durch gemeinsame Liebe zum Fußball am Brennpunkt Frankfurt-Slubice den Haß zu überwinden  ■ Von Rainer Schäfer

Frankfurt/Oder (taz) – Bernhard Wengerek hat sich verändert. Sagen zumindest einige seiner alten Freunde. Und die Fotografien, die ihn in Mailand, Anderlecht oder Braga zeigen, belegen, was Wengereks Umgebung so verdächtig erscheint. Seit er am 14. Mai in Frankfurt (Oder) den Fanklub „Euro-Fighter '97“ ins Leben rief, ist der ernsthafte Intellektuelle zu dieser Sorte Fußballfans mutiert, die sich Farben ins Gesicht schmieren, infantil durch europäische Innenstädte hüpfen und nachts immer dieselbe Fahne aus dem Hotelzimmer hängen. „Das Kind im Mann ist aufgewacht“, räumt Wengerek (47) ein. Und das alles wegen eines Fußballvereins – wegen Schalke 04.

Nach den Erfolgen der Schalker im Uefa-Cup vermehrten sich die Fanklubs auf mittlerweile 390. Die „Euro-Fighter“ sind bloß einer davon. Aber einer mit einem besonderen Profil. Die von Wengerek initiierte Fanverbindung ist der erste deutsch-polnische Schalke-Fanklub. „Wir wollen kein klassischer Jubelklub sein, der Sauf- und Spritztouren organisiert“, sagt Wengerek, Vorsitzender des Projekts, das als „Verein zur Förderung der deutsch-polnischen Fußball-Fan-Kultur“ in Frankfurt (Oder) im Register eingetragen ist. Der Klub zählt mittlerweile 31 Mitglieder, darunter deutsche Jugendliche aus neuen und alten Bundesländern, polnische Studierende und Professoren der Europa-Universität Viadrina in Slubice, das durch die Oder von Frankfurt getrennt wird.

Die Grenzlage möchten die „Euro-Fighter“ nutzen, um über die gemeinsame Fußball-Leidenschaft das Negativverhältnis und die Gleichgültigkeit zwischen Deutschen und Polen überwinden zu helfen. „Ich definiere mich dann nicht mehr über meine Nationalität, sondern bin Schalker“, hofft Wengerek, der in Henry-Maske- Stadt hauptberuflich das deutsch- polnische Jugendprojekt „Bez Granic – Ohne Grenzen“ leitet.

Gerade in Frankfurt hat Wengerek großen Handlungsbedarf ausgemacht. „Unsere Stadt gibt keine gute Figur ab. Rechtsextremismus und Ausländerhaß sind ein großes Problem.“ Wer die 1.500 deutschen Neonazis und Hooligans beim Länderspiel Polen gegen Deutschland im September 1996 in Zabrze erlebt habe, wisse, daß es höchste Zeit sei für ein binationales Fußballfanprojekt.

Für die grenzübergreifende Kommunikation scheint Wengerek geeignet wie kaum ein zweiter. Er wuchs im polnischen Zabrze als Sohn deutschstämmiger Eltern auf. „Ich fühle polnisch und denke deutsch“, sagt er. Auch das deutsch-polnische Fußball-Beziehungsgeflecht wickelte ihn früh ein. Wengereks Vater, ein Bergmann, war zum Schalke-Anhänger geworden, als er die „Knappen“ in den 30er Jahren mit Fritz Szepan und Ernst Kuzorra im damaligen Oberschlesien zaubern sah.

Ausgerechnet polnische Arbeitsemigranten aus Masuren, Ostpreußen und Oberschlesien machten Schalke damals stark – was auch dazu führte, daß der FC04 als „Proleten- und Polackenverein“ geächtet wurde. Die Begeisterung für den Ruhrpott-Klub ging vom Vater auf den Sohn über: allerdings in einer weniger auffälligen Form als heute. Bernhard Wengerek saß vor dem Transistorgerät und hörte im Westrundfunk Bundesliga-Kurzreportagen: Sobieray zu Lütkebohmert zu Fischer. Und der traf mal wieder.

Nach dem Putsch der polnischen Militärs 1981 setzte sich der Akademiker in die Bundesrepublik ab und ließ sich im Ruhrgebiet nieder – in der Nähe seines Fußballklubs. Jetzt sitzt Wengerek an der Oder und versucht die Bereiche Pädagogik und Fußball zu verbinden, ohne dabei oberlehrerhaft zu wirken. „Wir verstehen uns nicht als Missionare. Sonst wirst du ausgelacht“, sagt Wengerek, der Fußball als leistungsstarken Transformationsriemen der Völkerverständigung ansieht.

Ein Modellversuch läuft bereits: Unter dem Motto „Unter gleichen Farben – Blau und Weiß“ kommunizieren die „Euro-Fighter“ mit dem polnischen Erstligisten Lech Poznań. Der pädagogische Ehrgeiz des Fanprojekts, das von der Schalker Initiative gegen Rassismus und von Solidarność-Mitarbeiter Maciej Andrzejeweski unterstützt wird, zielt vor allem auf die Hooligans von Lech Poznań, die in der polnischen Presse als gewaltbesessene „Bestien“ dargestellt werden. Auf den ersten Blick ist der menschlichste Zug an manchen der Zweimeterkolosse, daß sie Hunger haben – und zum Frühstück sechs Eier essen.

Zäh seien die Diskussionen mitunter, räumt Wengerek ein. Vor allem, wenn im Mittelpunkt die extreme Gewaltbereitschaft der „Ultras Lech“ steht, die einigen der Hooligans eine Karriere im kriminellen Milieu eröffnete. „Wir sind kein rosarotes Streichelobjekt“, beschreibt Wengerek das harte Ringen um Annäherung. „Aber wir haben auch begriffen, warum sie sich so verhalten.“ Wengerek versteht den polnischen Hooliganismus als eines der Symptome einer kranken Gesellschaft, die am Umbauprozeß vom Sozialismus zum Kapitalismus leidet. In einer Gesellschaft, die zunehmend zerfällt, wird die Leere mit Aggression und Gewalt gefüllt.

„Innovative Maßstäbe in der europäischen Fankultur“ wollen die „Euro-Fighter“ setzen. Er habe, sagt Wengerek, sein „bequemes Leben im Ruhrgebiet aufgegeben, um hier etwas zu bewegen.“ Viel Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, was andere davon halten, wenn mal wieder das Kind im Mann erwacht, bleibt da nicht.