Abtreibung Behinderter nur bis zur 20. Woche

■ Ulrich Montgomery (Marburger Bund) will das Abtreibungsrecht aber nicht prinzipiell verschärfen

Frank Ulrich Montgomery ist Vorsitzender der Ärztevereinigung Marburger Bund. Wie auch Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer, mahnt er eine Änderung des Abtreibungsrechts an.

taz: Herr Montgomery, Sie fordern ein grundsätzliches Verbot von Schwangerschaftsunterbrechungen nach der 20. Woche. Warum?

Frank Ulrich Montgomery: Es geht um einen Sonderfall, der den meisten Menschen überhaupt nicht bewußt ist. Bei der medizinischen Indikation – darunter fallen oft auch Behinderungen der Kinder – ist die Abtreibung bis zum Tag vor der Geburt zulässig. Dabei ist das Kind möglicherweise schon überlebensfähig. Manche Ärzte sind schon zu der furchtbaren Lösung gekommen, das Kind im Mutterleib abzutöten, indem sie ihm mit einer langen Nadel Kaliumlösung ins Herz spritzen. Das alles ist heute rechtlich zulässig. Ich meine, wir sollten diskutieren, ob wir nicht wieder wie früher eine zeitliche Begrenzung einführen sollen. Danach sollte Abtreibung dann grundsätzlich verboten sein.

Soll das ohne jede Ausnahme gelten?

Das möchte ich mir für ganz wenige, seltene Sonderfälle vorbehalten. Beispielsweise, wenn das Kind die Mutter töten würde; oder wenn wir erst kurz vor der Geburt feststellen, daß das Kind kein Gehirn hat. Darüber sollte dann aber in jedem Einzelfall in einem vernünftigen Verfahren geredet werden. Die Indikation muß sehr viel härter gefaßt werden als heute.

Ist sie nicht schon hart genug? Es darf doch nur aus schwerwiegenden medizinischen Gründen abgetrieben werden, behinderte Kinder nur bis zur 22. Woche...

Tatsächlich kann ein schwer behindertes Kind auch unter die medizinische Indikation fallen, wenn die Geburt des Kindes schwerwiegende Folgen für die Mutter hat. Die Definition ist aber sehr schwammig.

Wie oft geschehen späte Abtreibungen?

Es gibt jährlich etwa 800 Fälle einer möglichen späten Abtreibung. Wie oft das tatsächlich geschieht, kann ich nicht sagen. Dem stehen 130.000 legale Abtreibungen gegenüber. Man muß also auch die Größenordnung sehen. Es geht mir nicht darum, das Abtreibungsrecht allgemein zu verschärfen.

Mit welcher medizinischen Begründung fordern Sie ein Verbot von Abtreibungen gerade nach der 20. Woche?

In der Sekunde, wo das Risiko besteht, daß der Fötus lebensfähig geboren wird, sollten wir wegen einer Störung des Kindes nicht mehr abtreiben. Dieser Zeitpunkt wird um die 20. Woche angesetzt. Ob das letztendlich die 20. oder 22. Woche ist, müssen die Fachleute entscheiden.

Der neue Paragraph 218 gilt schon seit Jahren. Warum haben Sie diesen Vorschlag nicht schon früher eingebracht?

Ich fordere das schon lange. Ich befasse mich schon seit einem Jahr intensiv mit dem Thema. Das ist jetzt nur wegen des Oldenburger Falles hochgekommen, wo eine behindertes Kind die Abtreibung schließlich mit schweren Schäden überlebte.

Bundesfrauenministerin Claudia Nolte denkt laut über eine Änderung des Abtreibungsparagraphen 218 nach. Was halten Sie davon?

Ich möchte mich von Frau Nolte ganz klar distanzieren. Frau Nolte hat gefordert, den ganzen Kompromiß wieder aufzuschnüren, ohne genau zu sagen, in welche Richtung er verändert werden soll. Dazu sehe ich überhaupt keinen Anlaß. Es geht mir nur um diesen medizinischen Sondertatbestand, der vor dem Hintergrund der 130.000 Abtreibungen jährlich nur ganz wenige Fälle betrifft. Ich möchte den Eindruck vermeiden, daß Zusammenhänge zwischen meinen Vorschlägen und denen von Frau Nolte bestehen. An einer Verschärfung des Abtreibungsrechts bin ich überhaupt nicht interessiert. Interview: Sascha Borrée