: Seit dem 1. Januar muß die Telekom teilen. Die Tarife der Konkurrenten sind meist günstiger, aber es gibt kaum Komplettanbieter, die auch Ortsgespräche abwickeln. Schätzungen zufolge wird die Telekom zwar 90 Prozent ihrer Kunden, aber nur 6
Seit dem 1. Januar muß die Telekom teilen. Die Tarife der Konkurrenten sind meist günstiger, aber es gibt kaum Komplettanbieter, die auch Ortsgespräche abwickeln. Schätzungen zufolge wird die Telekom zwar 90 Prozent ihrer Kunden, aber nur 60 bis 70 Prozent ihres Umsatzes behalten.
Schlaraffenland für Plaudertaschen
Das wohlgenährte Einzelkind sitzt nicht mehr allein am Tisch. Fortan muß die Deutsche Telekom den 45 Milliarden Mark großen Telefongebühren-Kuchen mit einigen Dutzend Wettbewerbern teilen. Bislang jedoch haben die Neuen nur ein paar Krümel ergattert. Dabei würden viele Telefonkunden der Telekom nur allzugerne die Nahrung entziehen. Denn die Unzufriedenheit mit dem bisherigen Monopolisten ist groß, wie Umfragen belegen. Die meisten von ihnen werden aber noch eine Weile warten müssen, bis sie dem eingebildeten Kind den Laufpaß geben können. Denn einen Komplettanbieter, der auch Ortsgespräche abwickeln kann, gibt es bisher nur in wenigen Städten, etwa in Köln und Düsseldorf.
Wie viele der täglich etwa 140 Millionen Telefongespräche die Telekom bereits an ihre Konkurrenz verloren hat, ist unklar. „Wir geben keine Auskunft über unsere Kunden“, so Pressesprecher Hans Ehnert. Die Erfolgsmeldungen der Neuen bewegen sich jedoch bisher nur im Promillebereich: Talkline zählt über 60.000 Gespräche am Tag, und MobilCom registriert mehr als 10.000 Verbindungen.
Kaum ein privater Telefonbesitzer dürfte bereits einen Vertrag über sämtliche Ferngespräche mit einem Telekom-Wettbewerber abgeschlossen haben. Per „Preselection“-System wird jedes Gespräch, das mit einer Null anfängt, automatisch in dessen Netz geleitet. „Das meiste werden Call-by- call-Anrufe gewesen sein“, vermutet Ehnert. Hierbei wählt die Anruferin die fünfstellige Nummer einer neuen Telefongesellschaft vorweg und wird dadurch in das Netz des Telekom-Konkurrenten geschaltet. Während sie bei Arcor einfach weiterwählen kann und danach wie gewohnt Vetter Bernhard oder Freundin Ruth am Apparat hat, meldet sich beispielsweise bei Talkline eine forsche Frauenstimme. Die verlangt erst mal Adresse und Telefonnummer und verspricht schließlich, ein individuelles Angebot zuzuschicken.
Am Ende des Monats werden Talkline-Kunden zwei Rechnungen in ihrem Briefkasten finden, während Arcor-Anrufe von der Telekom mit abgerechnet werden. Billiger aber ist das nicht unbedingt: Die Telekom verlangt von den neuen Konkurrenten für den Ausdruck jeder Zeile auf der Rechnung sieben Pfennig. Da wird der Einzelgesprächsnachweis schnell zum Luxus. „Noch ist das alles ein Tarifwirrwarr, und der Markt steckt in den Kinderschuhen“, kommentiert Helga Kuhn von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände. Außerdem seien viele Anbieter kaum erreichbar, weil die Leitungen überlastet sind. Sie rät abzuwarten.
Die Telekom versucht unterdessen nach Kräften, Chaos und Verwirrung aufrechtzuerhalten. So kündigte sie an, scheidenden Kunden 53 Mark in Rechnung zu stellen, wenn sie ihre Telefonnummer behalten wollten. Und wer sämtliche Ferngespräche über einen anderen Anbieter abwickeln will, soll 95 Mark bezahlen. „Das sind Kosten, die uns entstehen. Den Preis dafür müssen wir uns nicht von der Regulierungsbehörde genehmigen lassen“, meint Telekom-Sprecher Ehnert. Behördensprecher Harald Dörr ist da anderer Meinung. In spätestens neun Wochen werde darüber entschieden. Schließlich lägen Beschwerden von drei Konkurrenten vor. Doch zunächst wolle man die Kontrahenten an einen Runden Tisch bitten. Für den wissenschaftlichen Mitarbeiter der Bündnisgrünen, Ingo Ruhmann, ist das ein klares Eingeständnis, daß die Behörde noch nicht entscheidungsfähig ist und so Zeit gewinnen will.
Doch auch den Konkurrenten ist der für Privatkunden abschreckende Streit um die 95 Mark gar nicht so unrecht. Zum einen verschafft er ihnen ein David-gegen- Goliath-Image. Und zum zweiten hält er ihnen die Leute vom Hals, die nur ab und zu mal ein Ferngespräch führen wollen und damit einen relativ hohen Verwaltungsaufwand verursachen. Lieber sind ihnen da Großkunden wie der Bundestag, der bereits seit zwei Jahren einen Vertrag mit Worldcom hat. Herbert Kubicek, Professor für angewandte Informatik an der Universität Bremen, schätzt deshalb, daß die Telekom zwar 90 Prozent ihrer Kunden, aber nur 60 bis 70 Prozent ihres Umsatzes behalten wird. Annette Jensen
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