: Die Arbeitslosen haben noch viel zu tun
■ Großeinsätze der Polizei beenden die Besetzung von Ämtern der französischen Arbeitslosenversicherung durch Arbeitslose. Die Koalitionspartner von Premier Lionel Jospin üben heftige Kritik. Am Dienst
Paris (AFP/rtr) – Die protestierenden Arbeitslosen in Frankreich wollen ihre Aktionen auch nach der Räumung der besetzten Ämter durch die Polizei fortsetzen. Im ganzen Land war die Polizei am Samstag morgen in die 20 noch besetzten Büros der Arbeitslosenversicherung eingedrungen und hatte die Demonstranten abgeführt, die sich dort aufhielten. Die Räumung verlief weitgehend friedlich. Lediglich in Arras in Nordfrankreich kam es zu einem Handgemenge zwischen den Beamten und Arbeitslosen, bei dem ein Besetzer leicht verletzt wurde. Mancherorts hatten die Besetzer bereits am Freitag abend freiwillig aufgegeben. Gestern hielten Arbeitslose allerdings noch die Industrie- und Handelskammern von Cherbourg und Metz, die Eingangshalle der Stadtverwaltung von Guingamp in der Bretagne, ein Sozialzentrum in Nantes und ein ehemaliges Arbeitsamt in Lyon besetzt.
Die Arbeitslosenverbände protestierten scharf gegen den Polizeieinsatz und kündigten weitere Aktionen an. „Sie können uns vertreiben, aber sie können uns nicht zum Verschwinden bringen“, erklärte ein Sprecher. Die Verbände riefen für Dienstag zu neuen landesweiten Kundgebungen auf. Am Samstag abend hatten Demonstranten bereits eine Livesendung auf France 2 unterbrochen und auch die Arbeitenden aufgerufen, sich an den seit drei Wochen andauernden Protesten zu beteiligen.
Der kommunistische Fraktionschef in der Nationalversammlung, Alain Bousquet, nannte die Räumungsaktionen einen „menschlich und politisch schweren Fehler“. Der kommunistische Transportminister Jean-Claude Gayssot allerdings begrüßte Jospins Entscheidung, die Arbeitsämter räumen zu lassen. Er kündigte in einem Fernsehinterview an, Arbeitsministerin Martine Aubry werde am Montag Arbeitslose zu Gesprächen über die Krise empfangen.
Der sozialistische Premierminister Lionel Jospin hatte am Freitag die Gründung eines sozialen Notfonds von einer Milliarde Francs (knapp 300 Millionen Mark) zugesagt. Die Arbeitslosen beharrten jedoch auf ihren Forderung nach einer Sonderprämie von 3.000 Francs (900 Mark) und einer Erhöhung der Mindestsätze bei der Sozialhilfe, von der ein Drittel der Arbeitslosen leben. Die Presse reagierte skeptisch auf die Ankündigung des Regierungschefs. Der Notfonds mache für jeden Arbeitslosen umgerechnet 80 Mark aus, rechnete die Boulevardzeitung France-Soir.
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