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Der Mann im besten Alter ist anscheinend nicht angesprochen

■ betr.: „Mutter Teresa und Bill Gates in einer Person“, taz vom 2.1. 98

Verführerisch ist es ja schon, Ulrich Becks Bild der im tätigen Engagement für das Gemeinwohl beschäftigten und ausgefüllten Nicht- mehr-Arbeitlosen. Aber schon mit den von Beck aufgezählten, geradezu klassisch ehrenamtlichen Einsatzbereichen stellt sich mir als Sozialwissenschaftlerin die Frage, ob der Schuß nicht doch auch nach hinten losgehen könnte.

Sozial- und kulturwissenschaftliche Ausbildung würde im Zeitalter der Bürgerarbeit ebenso entbehrlich wie deren angemessene Entlohnung (und damit ihre gesellschaftliche Anerkennung): Welcher gemeinnützige Träger, welche Kommune sähe sich denn noch genötigt, entsprechend ausgebildetes Personal einzustellen und zu bezahlen, wenn in Sachen „Kultur und Soziales“ doch längst (wieder) der gesunde Menschen- und Alltagsverstand preiswert engagierter BürgerInnen ausreicht? Wenn es, ganz deutsche Traditionspflege, mit Belohnungen und Ehrungen getan ist – der bronzenen Anstecknadel etwa für fünf Jahre Bürgerarbeit...? Dabei hatten (und haben) wir vieles davon längst. Im Bereich der Volkskunde/Empirischen Kulturwissenschaft bzw. in deren Bürgerarbeitsversion der angewandten Heimatpflege beispielsweise drängt sich das Bild von Lehrern, Unternehmersgattinen, freiwillig aktiven Vereinsmeiern auf, die das „Volk“ auf „Heimat“ trimmen, so wie man es eben braucht: folkloristisch – kompensativ, tourismusfördernd oder, gerade hier wurde ganze Arbeit geleistet, gut national eingestimmt.

Das heißt nun nicht, daß von Ehrenamtlichen und Laien nicht auch Wichtiges und Vorbildliches geleistet würde. Wir brauchen die freiwillige Kulturarbeit – und auch deren höhere Wertschätzung. Ihre Institutionalisierung als Bürgerarbeit aber würde unter Umständen und unter der Hand zuerst einmal die filzigen Sumpfbiotope der Platzhirsche pflegen, die weitum nicht nur Stellen, sondern auch Denken und Handeln besetzt halten. Forschung und Praxis würden entkoppelt, die Bemühungen etwa von Museums- und AusstellungsmacherInnen, Geschichtswerkstätten oder Stadtteilinitiativen um die Umsetzung einer historischen Alltagswissenschaft und um Aufklärung im kritischen Sinn letztlich desavouiert. Ergebnis wäre weniger die Aufhebung als die Fixierung einer fatalen Werthierarchie zwischen Bill Gates und Mutter Teresa, weniger eine Pluralisierung der Tätigkeiten als ihre Polarisierung: Hie wirtschaftstragende, vorangig wohl technologische Kompetenz, die entlohnbar ist, dort die belohnbare gesellschaftliche Arbeit von Arbeitslosen, RentnerInnen, Hausfrauen und unausgelasteten Berufstätigen mit sozialer Ader, bei denen man getrost kritisches Engagement im positiven Bürgersinn aufgehoben wissen könnte. Katharina Eisch, Frauenau

„Bürgerarbeit“, „Stärkung der Selbständigkeit“, „Neubewertung der ehrenamtlichen Tätigkeit“ – die Konzepte für „neue Arbeit“, die hierzulande vorgeschlagen werden, erscheinen wie zahnlose Tiger, die mit räudigem Fell und brüchigen Krallen ein bißchen an den harten Eisentüren der liberalistischen Arbeitsgesellschaft herumkratzen. Die Konzepte klingen wohl deshalb so betulich, weil sie von denjenigen ausgedacht sind, die das Erwerbsleben aus der Perspektive eines halbwegs festen Postens, eines halbwegs angesehenen Berufes und eines halbwegs erklecklichen Einkommens kennen. Von diesem Hochsitz aus läßt sich gut Ideen schmieden.

Auch Ulrich Becks Verlautbarungen über „Bürgerarbeit“ klingen in dieser Weise wie ein tröstender Selbsthilfeworkshop für Sinnfindung. Mal ehrlich – wer möchte denn wirklich gern an diesem Arbeitsprogramm teilnehmen? Bürgerarbeit – so Beck – bewegt sich in den Bereichen „Bildung, Umwelt, Krankenfürsorge, Sterbehilfe...“ – das ist fein. Die sozialen Berufe sollen's mal wieder sein. Viel Sinn, wenig Geld. Dementsprechend soll Bürgerarbeit auch nicht „entlohnt“, sondern mit geringer Existenzsicherung „belohnt“ werden – vergiß es. Wir haben ja bereits diesen zweiten Arbeitsmarkt: all die ABMler, die Hausfrauen, die Honorarkräfte, die zahllosen PraktikantInnen, VolontärInnen, Lehrbeauftragte, Zivildienstleistende. Ohne diese mit einem kleinen Obulus „belohnte“ Arbeit, würde die halbe Republik zusammenbrechen, und die Arbeitgeber rechnen fest mit dieser zwangsfreiwilligen Unterbezahlung.

Der Nutzen für die einzelnen Arbeitenden aber ist ein eher zufälliger. Daß der „Wert“ von Arbeit, ihre Anerkennung, über die Entlohnung läuft, läßt sich auch mit den schönsten Utopien nicht wegdiskutieren. Die Bewertung von Arbeit ist keine Sache einer bloßen Bewußtseinsänderung; Geld ist immer noch die „materielle“ Basis und sichert gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten. So wird Bürgerarbeit eine Arbeit zweiter Klasse bleiben, solange sie nicht gut bezahlt ist.

Und für wen ist Bürgerarbeit gedacht? Für „Menschen, die vorübergehend arbeitslos sind, Jugendliche, Mütter, ältere Menschen“. Der Mann im besten Alter ist anscheinend nicht angesprochen. Und es kann Beck doch nicht entgangen sein, daß unser Problem nicht die Kurzzeitarbeitslosigkeit ist. Das eigentliche Problem liegt im Ausschluß: Bist du drin, oder bist du draußen? Das ist die zentrale Frage im Arbeitsleben. Die einzige Möglichkeit, aus Bürgerarbeit wirklich etwas Prestigeträchtiges zu machen, wäre ihre Integration in die „normale Arbeit“: 70 Prozent Erwerbsarbeit, 30 Prozent Bürgerarbeit. Obligatorisch. Für alle. Für Manager wie für Hausfrauen. Das wird das Image der Bürgerarbeit heben – unsere Managermänner werden schon dafür sorgen. Andrea Roedig, Berlin

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