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Die Befragung einsamer Nägel

■ „Sozio-Onto-Schizo“und anderes mit ungewöhnlichem Umfang bei der Stipendiaten 97-Ausstellung

Das schwarze Ding von Egbert Haneke heißt „SOS-Skulptur“. Aber was ist das? Daß das weichkantige Etwas vermutlich schwimmt, ist anzunehmen, holt der Hamburger Künstler doch viele seiner Anregungen aus seiner Ausbildung als Taucher. Doch daß das Ding aus 120 Quadratmetern innen verspannten Gummis ist, 18 Kubikmeter Raum einschließt, mit 30.000 Litern Luft aufgeblasen wurde und erst mit einem Gewicht von 20 Tonnen unter Wasser zu ziehen wäre, kann man sich ohne Informationen nur mühsam errechnen. Auch sollte man die seemännischen Assoziationen nicht überschätzen, der Künstler übersetzt SOS nicht wie üblich, sondern mit „Sozio-Onto-Schizo“.

Diese ungewöhnliche Skulptur ist unbestritten der größte Beitrag zur diesjährigen Ausstellung der Hamburg-Stipendiaten des letzten Jahres. Für eine Gruppe von vier Künstlerinnen und sechs Künstlern ist der Raum des Kunsthauses besonders gut geeignet, er läßt die Konzentration auf ein Werk ebenso zu wie den Dialog untereinander.

Und gerade der wird zunehmend gefördert: Zusätzlich zum monatlichen Wechsel wird während des Stipendienjahres in einem Tutoren-Modell mit monatlichen Treffen die immaterielle Förderung der jungen KünstlerInnen vorangebracht.

So macht erstmals die Ausstellung der ja nicht thematisch zusammengebrachten KünstlerInnen über die Einzelpräsentation hinaus einen stimmigen Eindruck. Diese Generation der meist Mitte der sechziger Jahre geborenen Talente setzt die Medien ganz selbstverständlich und ohne jeden Hype ein. Auch wenn Videobeamer und komplizierte Soundmaschinen verwendet werden, allen KünstlerInnen gemeinsam ist, daß sie sich weniger für irgendwelche Medienkonstrukte interessieren, sondern in ungewöhnlichem Umfang reale Dinge befragen.

Michael Baltzers Baggerschaufel und Elektrokarren sind funktionsfähige Eins-zu-eins-Modelle, „nach Augenschein nachgebaut“, wie er sagt. Sie geben wie riesiges Kinderspielzeug einen abstrahierenden Zugriff auf die Welt der Realien. Destruktive Erkenntnis dagegen bietet Inga Svala Thordottir mit ihrem „Pulverization Service“: Jedes Objekt bemißt sich bei ihr nach der Zeit, die sie braucht, es in winzige Partikel zu zerlegen und im Einmachglas zu archivieren.

Amorphe Objekte erwachen schwebend zu merkwürdigem Leben auf den übermalten Fotografien von Marc Lüders, Dorothea Carl untersucht, was von abwesenden Dingen zurückbleibt. Sie läßt deren Geschichte von den Bewohnern eines leergeräumten Hauses vor den nackten Wänden erzählen und fotografiert die einsamen Nägel und verblichenen Tapetenstellen, die von liebgewordenen Bildern künden.

Der breit akzeptierten Welt des Sports hat sich Karen Koltermann zugewendet. Auch sie verändert ein Objekt: Aus der zwei mal drei Meter großen, blauen Weichbodenmatte aus der Turnhalle wird hier ein Wandgemälde.

Keinesfalls sollten die Besucher vergessen, die Maschine zur Erfahrung des ewigen Fallens auszuprobieren und durch die hintere Tür zu weiteren, von Jan-Peter E.R. Sonntag inszenierten akusto-physischen Eindrücken zu gehen. Auch Sonntags Peep-Show hinter der langen weißen Wand vor den Fenstern gehört unbedingt zum Besichtigungsrundgang. Hajo Schiff

Kunsthaus, Klosterwall 15, bis 22. Februar.

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