Nehm sprach mit PKK

■ Staatsanwälte handelten seit Sommer PKK zu „krimineller Vereinigung“ herunter

Hannover (taz) – Der Sinneswandel von Generalbundesanwalt Kai Nehm kommt nicht zufällig. Die PKK nicht mehr als terroristische, sondern als kriminelle Vereinigung anzusehen, beruht auf zahlreichen Absprachen, die in PKK- Prozessen seit letzten Sommer üblich sind.

Von einer „Perspektive der baldigen Freiheit“ für den Angeklagten Kani Yilmaz zum Beispiel sprach die Verteidigung schon am ersten Tag des letzten großen PKK-Prozesses vor dem Oberlandesgericht Celle. Der Rechtsanwalt des Ex-Europasprechers der PKK-Massenorganisation ERNK bezog sich dabei auf Verhandlungen zwischen der Bundesanwaltschaft und der Verteidigung.

Als erste willigten im August vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zwei der ursprünglich drei Angeklagten in einen solchen Deal ein. Sie erklärten in einem Brief, daß sie in der PKK-Befreiungsbewegung ERNK verantwortliche Positionen innegehabt hatten. Die Bundesanwaltschaft wertete diese Erklärung als ein Quasi-Geständnis – und ließ dafür den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung fallen. Solche Absprachen mit der Bundesanwaltschaft gab es im Herbst in drei weiteren PKK-Verfahren in Frankfurt und Celle.

Ausgangspunkt dieser Absprachen zwischen der kurdischen Befreiungsbewegung und den höchsten Strafverfolgern der Republik war die Selbstkritik des PKK- Chefs Öcalan 1993. Zu direkten Kontakten zwischen Bundesanwaltschaft und PKK kam es dann im Januar vergangenen Jahres. Ein Vertreter der Bundesanwaltschaft führte in einem Londoner Gefängnis ein Gespräch mit PKK-Europasprecher Kani Yilmaz, der damals schon zweieinhalb Jahre in britischer Auslieferungshaft saß. Als unabhängiger Vermittler zwischen PKK und den Bundesanwälten war Ali Homan Ghazi tätig – der Sohn des Gründers der Republik Mahabad, des einzigen selbständigen kurdischen Staates, der je existiert hat.

Der juristische Friedensschluß ist aber nur ein begrenzter. Der Bremer Rechtsanwalt Schultz etwa streitet für einen bereits Verurteilten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: weil eine Funktion in der PKK nicht als Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt werden dürfe. Jürgen Voges