: 1968: „Draufhauen, draufhauen“
■ Straßenbahnunruhen von 1968 jähren sich zum 30sten Mal
Eine Woche lang hielten Schüler und Studenten im Januar 1968 die Stadt in Atem. Was als harmloser Sitzstreik auf den Schienen der Bremer Straßenbahn AG begann, endete mit schweren Krawallen. Die Erhöhung der Straßenbahntarife trieb damals Tausende auf die Straße. Der Jugendprotest steckte viele Erwachsene an. Am Ende hatten die Demonstranten Erfolg: Zwei Wochen nach dem Beginn des Protestes verkündete der Senat die Änderung der Straßenbahntarife. Die Sammelkarte für Schüler, Lehrlinge und Studenten sollte für elf Fahrten statt für zehn künftig vier Mark kosten. Darüber hinaus wurde eine Arbeitnehmerwochenkarte eingeführt. Eine Fahrt sollte 55 Pfennig kosten.
„Die Innenstadt gleicht einem brodelnden Hexenkessel“, heißt es in Berichten vom 18. Januar. Steine und Feuerwerkskörper fliegen durch die Luft, über 100 Scheiben von Bussen und Bahnen werden zertrümmert. Die BSAG beklagt später einen Schaden von 35.000 Mark. An der Balgebrückstraße gelingt es den Polizisten, die 15- bis 16jährigen Jugendlichen einzukesseln. Die Polizisten gehen mit Gummiknüppeln, Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die Demonstranten vor. Die Jugendlichen werden reihenweise verhaftet und sofort von der Staatsanwaltschaft vernommen.
Der damalige Polizeipräsident Erich von Bock und Polach, Vater des Staatsanwaltes Hans-Georg von Bock, steht wenige Meter hinter dem Kessel und schreit aus sicherer Entfernung: „Draufhauen, draufhauen!“Der Polizeipräsident sei so erregt gewesen, daß sein „Kinn gezittert“habe, berichtet ein Journalist des Weser Kuriers. „In seinem Eifer hat er nicht einmal bemerkt, wie ein junger Gruppenführer der Bereitschaftspolizei sich aus einer eingeschlossenen Gruppe blutende und schreiende Jungen und Mädchen mit festen Griff herausfischt und, um sie zu schützen, nach hinten schleuderte.“
Eine Frau schafft es, die Demonstranten zu beruhigen. Die Sozialsenatorin und Bürgermeisterin Annemarie Mevissen (SPD) stellt sich mit einem Megaphon vor die Demonstranten auf dem Domshof. Sie verspricht ihnen, daß sich die Bürgerschaft in einer Sondersitzung mit den Straßenbahntarifen befassen wird. Auf diese Weise erreicht sie „eine Art Waffenstillstand“.
In der zweiten Woche steht Bürgermeister Hans Koschnik den Demonstranten auf dem Domshof Rede und Antwort. Er verspricht eine Korrektur der Tarife.
Das Vorgehen der Polizei wird Thema eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Von Bock erklärt, er habe sich nicht in der vom Weser-Kurier beschriebenen Form geäußert, wohl aber gerufen: „Draufhauen oder so ähnlich.“Vom Untersuchungsausschuß muß er sich harte Kritik dafür gefallen lassen, daß er in das Geschehen eingegriffen hat. „Anordnungen hätten, schon um Mißverständnisse zu vermeiden, mit dem Leiter der Schutzpolizei abgestimmt werden müssen. Auch lassen sich nüchterne und kühle Entscheidungen besser aus der Distanz treffen“, heißt es im Abschlußbericht. Darüber hinaus empfehlen die Parlamentarier eine bessere Ausbildung der Polizeibeamten. Etwa ein Jahr später, im September 1969, wird ein juristischer Schlußstrich unter die Straßenbahnunruhen gezogen. Von den 166 Verfahren gegen 53 Erwachsene, 59 Heranwachsende und 66 Jugendlichen werden 84 eingestellt. Die übrigen Verfahren enden mit Freispruch, Verwarnungen oder geringen Geldbußen. Die elf Verfahren gegen Polizisten und gegen den Polizeipräsidenten (sieben Strafverfahren) werden eingestellt. kes
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