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Wohlgefühl per Händedruck

Die Erweckung des verschütteten Körperbewußtseins: Die japanische Reiki-Technik soll Selbstheilungskräfte stimulieren  ■ Von Ilonka Boltze

Wenn der kleine Zeh mit der Bettkante kollidiert, hilft neben lautstarkem Wehklagen ein Griff zur geprellten Stelle. Wer von Schmerzen geplagt ist, legt instinktiv Hand auf. Reiner Reflex, oder gibt es wirklich eine schmerzlindernde Wirkung der Hände, die wir nur unbewußt einsetzen?

Während die Schulmedizin sich mit diesem Phänomen wenig beschäftigt, sind die Hände beim japanischen Reiki ein Schlüssel zur Selbstheilung. 2500 Jahre alt ist die Methode zur Erlangung von universeller (japanisch „rei“) Lebensenergie („ki“). Ob der Ursprung jedoch im tibetischen Raum liegt oder eher aus Japan oder Israel stammt, darüber gibt es die unterschiedlichsten Mythen. Sicher ist, daß Reiki um die Jahrhundertwende von einem japanischen Priester wiederentdeckt wurde. Und, zumindest für die Reiki-Meister, daß ihre Methode heilen kann: Durch Handauflegen an festgelegten Punkten an Rücken, Bauch und Oberkörper können die Kundigen Beschwerden lindern und Abwehrkräfte stimulieren.

„Das Verdrängen des eigenen Körpergefühls ist eine Zivilisationskrankheit, mit der sich viele herumschleppen“, gibt die Hamburger Reiki-Meisterin Marie Münchow zu bedenken, die mit ihren Kursen die alten Kräfte wiedererwecken möchte. Wer sich mit Reiki heilen möchte, wird zunächst „eingeweiht“: Durch Handauflegen und archaische Rituale mit tibetischen Schriftzeichen werden die körpereigenen „Energiekanäle“geöffnet. Reiki funktioniert nicht wie Autogenes Training über die eigene Einbildungskraft, sondern über die heilenden Kräfte des „Meisters“, der als einziger Laien „einweihen“darf. Etwas mystisch erscheint der Einsteiger-Kurs durch die Tatsache, daß die Reiki-Meister über die Methode der „Kanalöffnung“Stillschweigen bewahren.

Die Zeremonie zum „ersten Reiki-Grad“wird mit geschlossenen Augen empfangen. „Viele Menschen haben dort unglaubliche Erlebnisse, sie sehen ein inneres Licht, verspüren ein Kribbeln durch den ganzen Körper – oder haben auch Glücksgefühle“, weiß Marie Münchow. Das kann Karen Schulz nur bedingt bestätigen. „Erst war ich sehr skeptisch, aber während des Kurses war ich einfach nur erstaunt, daß es klappt und man wirklich so etwas wie Körperenergien erspüren kann“, erzählt die 27jährige. Allerdings: „Danach ging es mir ziemlich dreckig, und nachts hatte ich Alpträume.“Für Reiki-Meisterin Münchow kein Widerspruch: „Die Öffnung der Kanäle ist wie ein Entgiftungsprozeß, bei dem Körper und Seele 'entschlacken'. Das kann zunächst sehr schmerzhaft sein, führt dann aber zu körperlichem Wohlbefinden.“

Wer in die Reiki-Methode in einem Tages- oder Wochenendseminar „eingeweiht“wurde, kann sich selbst per Handauflegen therapieren. „Mir hilft das immer ganz gut bei Migräneattacken“, erklärt Karen Schulz. „Es macht zwar nicht schmerzfrei, aber es lindert und entspannt.“Tatsächlich wird die Reiki-Technik beispielsweise in der Paracelsus-Klinik auf Helgoland zur Krankheitsbewältigung angewandt. Die Krankenkasse bezahlt solche Methoden jedoch nicht.

Als gute Einstiegsmöglichkeit für Laien, mehr über ihre körpereigenen Energien zu erfahren, schätzt der Hamburger Reiki-Meister Alexander Merlin das Handauflegen. Er warnt allerdings vor überhöhten Erwartungen. „Mit Reiki ernsthafte Krankheiten wie Krebs oder Aids heilen zu wollen, grenzt schon an Scharlatanerie.“Auch das Versenden von „Energie auf Wunsch“über Tausende von Kilometer hinweg, wie Marie Münchow es anbietet, hält Merlin für fragwürdig: „Das ist mehr ein Placeboeffekt, der da zur Wirkung kommt“, meint der 50jährige.

Die Reiki-Kurse vom ersten bis zum dritten Grad sind für ihn nicht selten „Beutelschneiderei“. Denn feste Preise gibt es nicht: Wer den ersten Grad erlangen will, muß für einen Wochenend- oder Tageskurs zwischen 100 und 350 Mark hinlegen. Für den zweiten Grad, der in die tibetische Zeichenlehre einführt, müssen wesentlich mehr Zeit und Geld investiert werden. Zwischen 200 und 500 Mark kostet der Kurs, der dazu befähigen soll, auch ohne Hände zu heilen.

Für Menschen, die nicht soviel Geld für ihr Wohlbefinden zahlen können, bietet Marie Münchow einmal im Jahr ein kostenloses Seminar an. Wer sich dafür interessiert, kann sich melden unter

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