: Voller Leidenschaft – herb und schroff
■ Sonaten-Abend von Kyung Wha Chung und Itaar Golan / Schumannsonate und ein Schuß Bremer Kulturpolitik
Robert Schumanns Ansichten über Kunst hätten gut als historisches Anschauungsmaterial für die Peter Weiss-Tage getaugt. Er war nämlich der Ansicht, daß es Kunst ohne gesellschaftspolitischen Kontext nicht gibt: „Es affiziert mich alles, was in der Welt vorgeht: Politik, Literatur, Menschen ...“„...weil mich alles Merkwürdige der Zeit ergreift und ich es dann musikalisch wieder ausdrücken muß“, schrieb er 1838 an Clara.
Unweigerlich fiel mir Schumanns Haltung ein, als jetzt Kyung Wha Chung und Itamar Golan in der Glocke mit einer emotionalen Wucht ohnegleichen die 2. Violinsonate in d-Moll op. 121 interpretierten: geschrieben ist sie 1851, also drei Jahre vor Schumanns Selbstmordsprung in den Rhein, „voller Leidenschaft – herb und schroff“sei die Sonate, so Clara Schumann.
Die in New York lebende koreanische Geigerin verfügt über Strichtechniken, die ihr in Bezug auf Klangfarbe scheinbar alles zu erlauben scheinen: mal klingt ihr Ton buchstäblich wie Seide, mal wie ein hartes Orgelregister, mal wie eine menschliche Stimme. Zusammen mit einer Riesenamplitude von dynamischen Polen, einem gezielten Einsatz des Nonvibrato und der Genauigkeit der Textwiedergabe, auf die Schumann so außerordentlichen Wert legte, fesselte ihre Interpretation bis zu Ovationsstürmen. Die Rubati gerieten zu atemberaubenden Spannungen vor immer neuen Entfesselungen. Maßgeblich beteiligt an diesem Niveau war allerdings der Pianist Itamar Golan: wie ein lauernder Tiger sitzt er so eng am Flügel, daß er die Arme dicht am und meist hinter dem Körper hat. Aber spätestens seit Glenn Gould, der mit übereinandergeschlagenen Beinen spielte, haben sich orthodoxe Urteile über Musikerhaltungen erledigt.
Von vergleichbarer Qualität gelang die Wiedergabe der 2. Sonate für Violine und Klavier von Béla Bartok: zum Teil eine narrative Todesmusik mit fahlen Klangfarben, zum Teil wilde Koboldhaftigkeit. Am Ende, als Kyung Wha Chung ihr Instrument in kaum mehr wahrnehmbare Höhen führte, war noch nicht einmal der Ansatz von Räuspern zu hören. Eingeleitet hatten die beiden das Konzert mit der selten gespielten Sonate in a-Moll von Franz Schubert, ein undankbares Anfangsstück, weil es auf keinerlei Effekte, sondern nur auf innere Substanz setzt.
Leider hat ein so fabelhaftes Konzert nicht nur mit Musik zu tun: es war ein Meisterkonzert von Präger & Meier, deren neue Inhaber und Geschäftsführer Hermann Pölking-Eiken und Hannes Nimpuno – einst bei der Kammerphilharmonie – nun sozusagen die Musikfestlinie auch in diesen Konzerten weiterverfolgen. Was auf den ersten Blick eine sinnvolle Verschränkung ist, ja eine Ausstrahlung des Musikfestes auf das ganze Jahr – allein das Deutsche Sinfonieorchester Berlin spielt nach seinem Musikfestauftritt noch drei weitere Konzerte, die Bamberger Symphoniker unter Roger Norrington treten im nächsten Meisterkonzert auf – ist auf den zweiten Blick eine für die Größe dieser Stadt nicht ungefährliche Monopolisierung im Kulturmanagement. Behalten wir–s im Auge, es wird sich eh' vieles ändern, wenn die Entscheidungen nach dem Kinsey-Gutachten gefallen sind.
Ute Schalz-Laurenze
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