: „Der tritt niemals freiwillig ab“
Indonesien hofft auf einen möglichst baldigen Abgang des Präsidenten Suharto ■ Aus Jakarta Jutta Lietsch
„Präsident Suharto hat sich entschlossen, sofort einen mehrwöchigen Urlaub anzutreten. Er ist von den schweren Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds erschöpft und muß sich auf Anraten der Ärzte schonen. Der Präsident hat seinen Stellvertreter beauftragt, die mit dem IWF verabredeten Reformen strikt durchzusetzen, um das Vertrauen in die Wirtschaft schnell zurückzugewinnen. Bis zum Ende seiner Amtszeit im März wird er sich bei seinem alten Freund Helmut Kohl in Bonn erholen. Er bittet die Beratende Versammlung, ihm die verdiente Altersruhe zu gönnen und einen jüngeren Nachfolger zu wählen.“
Ein kühner Traum, den ein ehemaliger Regierungsberater als sein „Lieblingszenario“ für das Ende der 32jährigen Herrschaft des indonesischen Diktators bezeichnet. Der Politologe träumt nicht allein. Wenig – außer den steigenden Preisen – wird in Jakarta in diesen Tagen so heiß diskutiert wie die Frage: Wie lange macht Suharto es noch? Nie schien der Machtwechsel so nahe: Kränkelnd zog sich der 76jährige in seine Residenz zurück, während die Wirtschaftskrise das Land erschütterte und die Forderung immer lauter wurde, Suharto solle abtreten.
Der Tiefpunkt schien am vergangenen Donnerstag erreicht, als Suharto zähneknirschend die harten Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) akzeptierte. „Als Indonesier fühlte ich mich gedemütigt, das sah wie eine koloniale Unterwerfung aus“, beschreibt der frühere Gouverneur von Jakarta, Ali Sadikin, seine erste Reaktion auf die Bilder im Fernsehen. Da beugte sich der alte Suharto tief über das Dokument und unterschrieb langsam, während IWF-Chef Michel Camdessus ihm zufrieden von oben beobachtete. „Aber dann dachte ich, er hat es verdient. Er hat das Land an den Abgrund gebracht. Er muß die Verantwortung tragen“, sagt Sadikin, ein 72jähriger Exadmiral, seit Jahren einer der schärfsten Kritiker seines ehemaligen Chefs.
Doch der Präsident brach nicht beschämt zusammen. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren gab er eine Pressekonferenz, bei der die Journalisten frei fragen durften. Aufrecht, Charme versprühend und ohne Spickzettel stand der Präsident hinter dem Mikrofon und plauderte ungerührt – wenn auch etwas vage – darüber, was er gerade unterschrieben hatte: Monopole sollen aufgelöst, das Bankensystem überholt werden, seine Kinder Privilegien verlieren. Ein neuer Finanzausschuß werde überwachen, daß die Reformen verwirklicht werden, verkündete er. An der Spitze der Kontrolleure soll ein besonders berufener Mann stehen – er selbst. „Spätestens da wußten wir, daß er es nicht ernst meint“, kommentiert der Politologe. Eines sei klar: „Der tritt niemals freiwillig ab.“
In einem Punkt herrscht in Jakarta Einigkeit: Alles hängt vom mächtigen Militär ab, das fest hinter Suharto steht. Er hat es in den letzten Jahren geschickt vermocht, seine engsten Vertrauten und früheren Leibwächter auf die enscheidenden Posten zu hieven. Kritische Offiziere, die gegen die autoritäre Herrschaft Suhartos rebellieren wollten, wurden ausgebootet.
„Solange Suharto sich gesund genug fühlt zu regieren, haben wir keine Chance“, sagt ein enger Mitarbeiter der Oppositionspolitikerin Megawati Sukarnoputri, die vor zwei Jahren mit Hilfe des Militärs als Vorsitzende der kleinen „Demokratischen Partei Indonesiens“ gestürzt wurde. Die 50jährige Megawati ist zwar populär. Eine Machtbasis in der Armee hat sie jedoch nicht. Daß sie sich bereit erklärte, gegen Suharto für die Präsidentschaft zu kandidieren, hat nach Ansicht Oppositioneller nur symbolischen Charakter.
Auch Amien Rais, der 52jährige in Chikago studierte Politikwissenschaftler und Chef der islamischen Muhammadiya-Gemeinschaft mit 25 Millionen Mitgliedern, hat keine Chance, von der Beratenden Versammlung nominiert zu werden. Die bestimmt am 11. März den Präsidenten. Suharto kontrolliert die Mehrheit der 1.000 Delegierten. Rais, Megawati und Abdurrahman Wahid, der weltoffene Vorsitzende der muslimischen „Gemeinschaft der Rechtsgelehrten“ mit 30 Millionen Mitgliedern, fordern zwar alle mehr Demokratie und ein Ende der Suharto- Herrschaft. Viel weiter geht die Zusammenarbeit jedoch nicht. Religiöse, politische und persönliche Differenzen wiegen schwerer.
Wenn sich Suharto tatsächlich zum siebten Mal aufstellen läßt – wer wird dann sein Vize, der im Falle seines Todes oder Rücktritts automatisch die Macht übernimmt? Der Präsident schweigt, die BeobachterInnen stochern im Nebel: „Es wird gewiß ein Militär!“ — „Auf jeden Fall ein ziviler Technokrat!“ – „Der Verteidigungsminister.“ – „Suhartos Tochter Tutut.“ – „Der Armeechef?“ – „Ganz sicher bleibt es der bisherige Vizepräsident Try Sutrisno.“ Oder: „Forschungsminister Habibie, der hat gute Kontakte zur deutschen Regierung. Kohl bezahlt ihm den Weiterbau unseres nationalen Flugzeugs, nachdem der IWF die Subventionen verboten hat.“ – „Habibie? Niemals! Das Militär haßt ihn, seit er ihnen die ostdeutschen Schrottkriegsschiffe angedreht hat.“
Was ist aus der Oppositionsbewegung geworden, die vor zwei Jahren bereits von „People's Power“ und einem Machtwechsel träumte? Viele ihrer Vertreter sitzen heute im Gefängnis. Andere mußten untertauchen. „Wir haben gelernt“, sagt die Mitarbeiterin einer Umweltorganisation in Jakarta: „Wir brauchen mehr Zeit, um uns zu organisieren.“
Bislang drücke sich der Unmut der Bevölkerung über die steigenden Preise und Arbeitslosigkeit, über die Habgier der Präsidentenfamilie und die Privilegien einer kleinen Geschäftselite „nie in Aktionen gegen die Regierung aus“, warnt der Politologe, „sondern immer gegen die eigene Umgebung: gegen die chinesische Minderheit, Kirchen, buddhistische Tempel“.
Es wäre leicht, „jetzt Millionen auf die Straße zu holen, um gegen Suharto zu demonstrieren“, meint die Umweltaktivistin. „Wenn die großen muslimischen Organisationen, Megawati und wir unsere Mitglieder aufrufen, können wir sicher sein, daß sie kommen. Aber wer will das verantworten?“ Die Spannung sei gegenwärtig so hoch, daß solche Proteste leicht in Krawalle umschlagen würden. „Wir würden dem Militär nur einen Vorwand bieten zuzuschlagen.“
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