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Echte Vibrationen... oder gar nichts

■ Yasmina Rezas "Kunst" in Bremerhaven / Stadttheater kooperiert mit dem TIF

Die kleine Sensation hing draußen im Foyer direkt neben dem Eingang zum Theatersaal: Ein Bild von Raimund Girke, Acryl auf Leinwand, fast ganz in Weiß. Es empfing das Publikum, das am Donnerstag im Theater im Fischereihafen (TiF) zur Premiere von Yasmina Rezas Erfolgsstück „Kunst“erschienen war.

Das teure Original war eine Leihgabe der Bremerhavener Kunsthalle, freundliche Geste für eine Premiere, die mehrfach neugierig machen konnte: Mit „Kunst“zieht Bremerhavens Stadttheater zum erstenmal in die schönen Räume des lange mißtrauisch beäugten TiF. „Kunst“ist ein Kooperationsprodukt. Das TiF stellt die Bühne, das Stadttheater verantwortet die Inszenierung.

Eine Bremerhavener Premiere war es auch für den Regie-Gast Wolfgang Hofmann, der hinter den Kulissen als künftiger Oberspielleiter im Gespräch ist. Ihm geht der Ruf eines Neuerers voraus, hatte er doch kürzlich in Braunschweig das Telefonbuch in Szene gesetzt. Im TiF präsentierte sich jedoch kein junger Wilder, sondern ein anständiger Handwerker, der den feingeschliffenen französischen Witz temporeich über die in schlichter Eleganz gestaltete Bühne fegen ließ.

Es geht um drei beste Freunde, deren Beziehung durch den Kauf eines 200.000 Francs teuren Gemäldes auf die Probe gestellt wird. Der zeitgeistversessene Serge (Michael Quinten Stobbe) hat es gekauft, Marc (Kay Krause) lacht ihn dafür aus („absolute Scheiße“), der dritte Mann Yvan (Stephan Clemens) ist zwischen beiden Freunden hin- und hergerissen: Er kann sich nicht entscheiden, was er beim Blick auf die fast weiße Leinwand empfinden soll: Echte Vibration oder gar nichts. Ein Produkt aus dem Grenzbereich der Gegenwartskunst als Motor der Beziehungskrise.

Sie deckt auf, was zwischen den Freunden längst schiefläuft: Marcs kategorische Rechthaberei („Man sollte seine Freunde nie ohne Überwachung lassen“), Yvans Entscheidungsschwäche und Serges blinde Unterwerfung unter den Zeitgeisttrend führen zu einer geistreichen Schlacht, in dem die Pointen blitzen, und auch die moderne Kunst nicht ohne Gestichel davonkommt. Das Premierenpublikum lachte besonders herzlich, wenn das gefährliche Weiß zur einfachen Holzspanplatte erklärt wurde. Macht sich da lauthals ein latentes Unbehagen Luft, das aus dem dumpfen ressentimentgeladenen Volksbauch kommt?

Kunsthallenchef Jürgen Wesseler sagt nach der Premiere listig: „Das Stück ist intelligenter als sein Publikum.“Yasmina Reza, Sproß einer jüdisch-russischen Emigranten-Familie, hat es so gut gebaut, daß die Regie nichts anderes tun kann, als drei exzellente Spieler auf die Bühne zu stellen: Das gelingt dem Stadttheater nur zum Teil. Während Kay Krause lustvoll-brillant und glaubwürdig den bissigen Marc zum schwergewichtigen Mittelpunkt des Männer-Trios macht, fehlt es dem talentierten jungen Schauspieler Michael Quinten Stobbe noch an gelassener Souve-ränität, um jederzeit mithalten zu können. Allzu glatt und unbeteiligt läßt dagegen Stephan Clemens den wehleidig-sentimentalen Yvan ins überzogene Chargieren verrutschen. Seine vorgetäuschten Tränen drohen das Spiel zeitweilig zur bloßen Klamotte zu machen, wo alle Einwände gegen monochrome Leinwände immer recht behalten. Nach der vielbeklatschten Premiere atmeten die Veranstalter sichtbar auf:

Das weiße Girke-Bild im Foyer mit seinen sanft gestuften Grautönen war weder gestohlen noch beschädigt: 1972 für 3.000 DM gegen heftigen Protest gekauft, später wegen eines Risses für 11.000 DM restauriert, hat es heute einen Schätzwert von 100.000 DM. Kein Liebhaber ließ sich zu einem Kunstraub hinreißen. Hans Happel

Weitere Vorstellungen 21.1., 28.1., 1.2., 11.2., 14.2., 24.2., (20h)

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